Die Flaniermeile in Tunesiens Hauptstadt ist um eine Attraktion reicher. Am Freitag waren es nicht die rund 1000 Demonstranten, die einmal mehr durch die Avenue Habib Bourguiba zogen, um den Rücktritt der Minister aus den Reihen der ehemaligen Regierungspartei RCD zu fordern, die das Interesse der Passanten auf sich zogen, und auch nicht die Transparente und Sprühereien, die mittlerweile die Innenstadt von Tunis zieren, es war ein Schaufenster. Dutzende von Menschen drängelten sich den ganzen Tag über vor der Buchhandlung Al Kitab, um Bücher zu sehen, von deren Existenz zwar viele wussten, die sie aber noch nie in der Hand gehalten haben.
„Ausstellungsexemplare verbotener Bücher“, stand handgeschrieben auf französisch und arabisch zu lesen. Zwei Angestellte der Bücherei sammelten Unterschriften für die sofortige Freigabe der Buchimporte. Bisher genehmigt das Innenministerium, was in Tunesien gelesen werden darf und was nicht.
„Wir haben die Exemplare in unserem Freundeskreis gesammelt. Sie lagen irgendwo versteckt unter der Matratze“, sagt die Chefin von Al Kitab, Selma Jabbes, und lächelt dabei verschmitzt. Eine Großbestellung aus Frankreich sei bereits unterwegs. Sie werde in den nächsten Tagen per Flugzeug erwartet. „Dann werden wir sehen, was passiert“, meint die streitbare Buchhändlerin, die angibt sich die ganzen Jahre über an die Gesetze gehalten zu haben, aber jetzt nicht mehr länger einsehen will, „warum Bücher ein Einreisevisum brauchen“.
Auf den Schmuggel oder den blosen Besitz verbotener Bücher stand bisher Gefängnis. Die wenigen Exemplare, die dennoch ins Land gelangten, wurden meist von ausländischen Besuchern über die Grenzen geschafft.
Neben kritischen Analysen über das Regime des am 14. Januar gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali gibt es auch geschichtliche Abhandlungen, die die Zeit unter dem ersten Präsidenten der tunesischen Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, eingehend analysieren. Auf arabisch stehen unter anderem Werke von islamistischen Theoretikern, wie der im Londoner Exil lebende Chef der tunesischen Ennahda-Bewegung Rachid Ghannouchi, in der Auslage. „Die Bürger haben das Recht sich frei zu informieren, das gilt für alle Tendenzen“, meint Jabbes dazu.
Draußen überlegen sich die Schaulustigen bereits, was sie als erstes kaufen werden, sobald die Lieferung eintrifft. „La Régente de Carthage von Nicolas Beau et Catherine Graciet“, meint einer. Das Buch über die Machenschaften der Präsidentengattin Leila Trabelsi und ihres Clans, die sich in den Jahren der Diktatur um unvorstellbare Summen bereichert haben, interessiere ihn nicht, meint ein anderer: „Alles Geschichte!“ Er werde eher zu einem universitären Text über die Verstrickung der Politik und der Wirtschaft in Tunesien greifen.
Wieder andere interessieren sich für die Werke des tunesisch/ französischen Journalisten Taoufik Ben Brik, der vor 11 Jahren durch einen 42-tägigen Hungerstreik die Zensur in Tunesien anklagte und 2009 sechs Monate im Gefängnis verbrachte. Ein Anderer vermisst sein Lieblingsbuch: „Notre ami Ben Ali“ Der Maghrebspezialist der französischen Tageszeitung Le Monde, Jean-Pierre Tuquoi, analysiert darin mit weiteren Kollegen, wie und warum Frankreich und Europa Ben Ali stützten. „Es war auf die schnelle einfach kein Exemplar aufzutreiben entschuldigt sich die Buchhandlung.
Nachdem die Presse und das staatliche Fernsehen frei über die Entwicklung in Tunesien berichten, forderten am Freitag auch die freien Radios ihre Rechte mit einer Kundgebung in der Innenstadt von Tunis ein. Bisher wurden ihnen die Lizenzen verwehrt. So mancher wich aufs Internet aus. Die Seite wurde gesperrt. Die Vereinigung der Lizenzanwärter entstand 2005 nach dem die Vereinten Nationen ausgerechnet in Tunesien von Ben Ali einen internationalen Gipfel für Information abhielt. „Ich habe 1987, kurz nachdem Ben Ali an die Macht kam, meinen Antrag gestellt, und bis heute keine Antwort erhalten“, beschwert sich Fourti Salah, Chef des basisdemokratischen Radio6, das nur über Internet ausstrahlen zu hören ist.