Die Osterwoche in Spanien, das ist nicht nur Sevilla oder Granada. Auch die Hauptstadt Madrid blickt auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück. Vom Palmsonntag bis zum Ostersonntag ziehen prunkvolle Prozessionen durch eine der größten Altstädte Europas. „Die Menschen in Madrid haben in den letzten Jahren ihre Prozessionen wiederentdeckt“, sagt Mariano Rivera. Dies ist auch mit der Verdienst des 43-jährigen Informatiker. Rivera ist der „Große Bruder“ der „Königlichen und illustren Kongregation unserer „Señora de la Soledad“ – der Heiligen Jungfrau der Einsamkeit. 150 Mitglieder zählt die Vereinigung zur Ehren des Marienbildes, das im 16. Jahrhundert König Felipe II, nach Madrid brachte.
Am Ostersamstag führt Rivera im langen Gewand, mit verhülltem Gesicht eine der ältesten Prozessionen Madrids an. Die Maria der Einsamkeit wird von der Kirche San Ginés unweit der Plaza Mayor durch die Gassen des Zentrums der Hauptstadt geführt. Das Besondere an dieser Prozession: „Wir sind die einzigen, die Trommler mitführen“, erklärt Rivera stolz. Dies geht auf seine Initiative zurück.
Seit Jahren pflegt er innige Kontakte mit Kongregationen aus Aragón, der Region rund um Zaragoza. Dies ermöglichte es einen Brauch aus dem 16. Jahrhundert wiederzubeleben. Damals waren es die Musiker der Königlichen Garde, die die „Señora de la Soledad“ begleiteten. Der Lärm der Trommeln soll die Trauer zum Ausdruck bringen: Jesus ist tot. Doch von Trauer ist außerhalb der Prozession nur wenig zu spüren. Tausende von Menschen stehen am Straßenrand. Wem es langweilige wird, der zieht sich in eine der vielen Kneipen zurück, um etwas später und einige Bierchen schwerer wieder das altertümliche Spektakel zu bestaunen. Längst ist auch in Madrid die Semana Santa, mit ihren 15 Prozessionen alleine in der Innenstadt, zu einer Art Volksfest geworden.
Die am besten besuchte Prozession startet am Karfreitag im Kneipenviertel Huertas. Der Umzug ist „Jesús Nazareno de Medinaceli“ gewidmet. Die Statue aus dem 17. Jahrhundert ist eine der beliebtesten Heiligenfiguren der spanischen Hauptstadt. Jeden ersten Freitag im Monat bilden sich lange Schlangen vor der gleichnamigen
Kirche. Einzeln treten die Menschen vor die handgeschnitzte, fast lebensgroße Jesusstatue. Sie blicken andächtig nach oben, beugen sich langsam nach vorn und küssen den rechten Fuß, der unter dem kunstvoll gewebten violetten Gewand herausschaut. Danach bekreuzigen sie sich und gehen lautlos weiter. Jesús de Medinaceli soll Wunder verbringen.
Wer im Rummel der Semana Santa Andacht sucht, muss früh aufstehen. Die kleine, fast schon dörflich wirkende Prozession zu Ehren der Virgen Dolorosa – der Jungfrau der Schmerzen – zieht am Ostersamstag, morgens um acht, ebenfalls durch die Straßen von Huertas. Die Szene könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Straßen des Kneipenviertels sind menschenleer. Die Bars und Restaurants haben ihre Rollläden heruntergelassen. Scherben und Papierbecher auf dem Boden erinnern an den Massenaufmarsch am Abend zuvor. Vorbei geht es an einem Kloster, in dem einst Spaniens Nationalautor Cervantes lebte. Nonnen hinter einem vergitterten Fensterchen singen zu Ehren der Maria. Die Prozession zieht die Straße hinunter, der aufgehenden Sonnen entgegen.
Jede Prozession hat ihre Geschichte und Anekdoten. So soll die Vereinigung zur Ehren der Madrider Macarena nach dem Bürgerkrieg Anfang der 40er Jahre von Republikanern mitgegründet worden sein. Ähnlich wie einst die Juden im 16. Jahrhundert, nutzten sie die katholischen Vereinigung um sich weiterhin zu treffen und der Verfolgung durch die Herrschenden – in diesem Fall durch die Franco-
Diktatur – zu entgehen.
Mariano Rivera ist sich sicher, dass die Semana Santa auch weiterhin viel Zulauf haben wird. „Zwar interessieren sich die Menschen immer weniger für die Religion, doch Tradition und Bräuche gewinnen wieder an Bedeutung“, sagt er. Auch wenn sich die Semana Santa immer wieder gegen die Moderne verteidigen müsse. So sei die Madrider Stadtverwaltung an die Kongregationen mit der Idee herangetreten, die Routen der Prozessionen zu vereinigen. Auf einem breiten Boulevard könnten mehr Zuschauer Platz finden und gar Tribünen mit Sitzplätzen aufgebaut werden. Rivera schüttelt nur den Kopf. „Dem werden wir nie zustimmen. Das wäre wie ein Aufmarsch auf dem Reichsparteitagsgelände einst in Deutschland“, meint er. So werden die Prozessionen auch dieses Jahr wieder Madrids Altstadt lahmlegen.