© 2012 Reiner Wandler

Ennahda betont moderat

Erster Parteikongress der regierenden, tunesischen Ennahda seit 1988. Säkulare Parteien rücken zusammen, um den Religiösen etwas entgegensetzen zu können.

Es war ein historisches Wochenende für das neue Tunesien. Ein einhalb Jahre nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali am 14. Januar 2011 rief die Partei Ennahda am Wochenende zum dreitägigen 9. Parteikongress. Die Islamisten, die in der Regierung die Mehrheit haben, sind die größte politische Formation des Landes. Erstmals seit 1988 konnten sie ihren Parteitag wieder in Tunesien abhalten. Viele derer, die dem Kongress vorstanden waren – wie Regierungschef Hamadi Jebali – für über zehn Jahre in Haft, oder – wie Parteichef Rachid Ghannouchi – im Exil.
Auf dem Parteitag, der zehntausende Anhänger in einem Kongresszentrum in Tunis versammelte, gab sich die Ennahda betont moderat. „Das Land braucht Konsens und Einheit“, erklärte Ghannouchi in seiner Rede. Er verteidigte die Koalition mit zwei kleineren, säkularen Parteien aus dem Mitte-Links-Spektrum, der Ettakatol,deren Parteichef Mustapha Ben Jafaar der Verfassungsgebenden Versammlung vorsteht und dem Kongress für die Republik (CPR) deren Vorsitzender Moncef Marzouki Staatspräsident ist. Immer wieder war auf dem Parteitag von einer „Zentrumsfront“ die Rede, die das Land aus der Krise führen müsse.
Innerhalb Ennahdas hörten das nicht alle gerne. Der radikale Flügel versprach sich vom Wahlsieg eine schnelle Islamisierung der Gesellschaft. Stattdessen verzichtete Ennahda unter Druck der restlichen Kräfte, in der Präambel der entstehenden Verfassung das islamische Recht als Grundlage des Systems zu verankern.
Ennahda befindet sich auf einer Gradwanderung zwischen der eigenen Basis und der breiten Wählerschaft, die längst nicht alle Islamisten sind. In den letzten Monaten wurde immer wieder Kritik an der Regierung Jebali laut. So legte das Komitee für die Reform der Medien die Arbeit nieder, nachdem Jebali eigenmächtig die Chefetagen bei Funk und Fernsehen ausgewechselt hatte. Viele werfen Ennahda ausserdem vor, zu zögerlich gegen die radikalen Salafisten vorzugehen, die immer wieder für gewalttätige Übergriffe auf fortschrittliche Politiker, Kulturveranstaltungen und an den Unis verantwortlich sind.
Die eigentliche Prüfung kommt für Ennahda im März kommenden Jahres. Dann soll die Verfassung fertig sein und ein neues Parlament gewählt werden. Waren im Oktober 2011 beim ersten Urnengang nach Ben Alis Flucht die säkularen Parteien noch zersplittert, dürfte es Ennahda im März mit zwei starken Mitbewerbern zu tun bekommen. Maya Jribi, die einstige Vorsitzende der sozialdemokratischen Demokratische Fortschrittspartei (PDP) und deren historischer Führer Nejib Chebbi haben im April mehr als ein Dutzend kleinerer Formationen und unabhängiger Listen zur Republikanischen Partei (PR) vereint. Und der ehemalige Ministerpräsident der letzten Übergangsregierung vor den Wahlen vom Oktober, Béji Caïd Essebsi, will mit seiner im Juni entstandenen Nida Tounes (Appell Tunesien) einen starken liberalen Block bilden. Der 85-Jährige Essebsi blickt auf eine lange politische Karriere seit der Unabhängigkeit Tunesiens zurück. Vermutlich wird er viele derer an sich binden, die nach wie vor an die modernistischen Ideen des ersten Präsidenten Habib Bourguiba glauben. Außerdem dürfte Essebsi auch bei den nach dem Sturz Ben Alis und dessen Partei RCD heimatlos gewordenen Erfolg haben.

Foto: Auf einer Ennahda-Wahlkampfveranstaltung im Oktober 2011.

Was bisher geschah: