© 2009 Reiner Wandler

Weiter mit eiserner Hand

So sieht Wahlkampf auf Tunesisch aus: Plakate des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Die Werbung seiner drei Gegenkandidaten fehlt fast völlig. Grosse Wahlkampfveranstaltungen gibt es einzig für den seit 22 Jahren regierenden ehemaligen General. In den Zeitungen, in Radio und Fernsehen wird über seine Herausforderer so gut wie nicht berichtet. Niemand zweifelt daran: Der 73-jährige Staatschef wird am Sonntag abermals mit über 90 Prozent gewinnen und für eine fünfte Amtszeit im Präsidentenpalast in Karthago, einem noblen Vorort der Hauptstadt Tunis, bleiben. Auch bei der gleichzeitigen Parlamentswahl gilt ein hoher Sieg von Ben Alis Demokratisch-Konstitutioneller Sammlungsbewegung (RCD) für ausgemacht. Die Präsidentenpartei zählt über drei Millionen Mitglieder. Fünf Millionen Tunesier sind wahlberechtigt.

Wo immer man in Tunesien hinkommt, einer ist schon da: Zine El Abidine Ben Ali, der Staatspräsident. In Amtsstuben, Teehäusern, auf dem Markt oder bei so manchen zu Hause hängt das Bild des Landesvaters, der mit strengem Blick seine Untertanen beobachtet. Wenn der vor 73 Jahren in Hammam Sousse, im Osten des Landes, Geborene, etwas in seinem Leben gründlich gelernt hat, ist es die innere Sicherheit. Ben Ali besuchte Militärschulen in Tunesien, Frankreich und den USA. Von 1958 bis 1974 leitete er den militärischen Geheimdienst, 1977 wurde er Generaldirektor der nationalen Sicherheit, 1986 Innenminister. Dem Sohn einer einfachen Familie reichte das nicht. Er wollte Präsident statt des Präsidenten werden. Am 7. November 1987 war es soweit. Ben Ali stürzte seinen politischen Ziehvater, Staatschef Habib Bourguiba. Seither regiert Ben Ali mit eiserner Hand. 2002 liess er die Verfassung ändern, um unbegrenzt im Amt bleiben zu können. Seither darf Präsident werden, wer jünger als 75 ist. Für Ben Ali wäre diese Wahl folglich die letzte, ausser er legt abermals Hand an die Verfassung./ foto: R.D. Ward

Der einzige wirkliche Oppositionskandidat, Ahmed Brahim, Vorsitzender der aus der Kommunistischen Partei hervorgegangenen Erneuerungsbewegung, fordert «einen Bruch mit dem autoritären System und der Vetternwirtschaft». Doch klare Worte werden in Tunesien nicht geduldet. Brahims Wahlmanifest wurde zensuriert und wartet bis heute auf die Drucklegung. Seine Wahlplakate wurden erst eine Woche vor dem Urnengang fertig. Die Zeitung seiner Partei, «Ettarik Al-Jadid» (Der Neue Weg), wurde vorübergehend verboten. Ihr Vergehen: Sie hatte eben jenes Wahlprogramm veröffentlicht. «Ein Verstoss gegen das Wahlgesetz», befanden die Behörden.

Ausser Brahim stellen sich der Sozialdemokrat Mohamed Bouchiha und der Nationalist Ahmed Inoubli zur Wahl. Beide gelten als regimenahe Politiker. Ein weiterer Bewerber, der Sozialist Ben Jaafar, wurde nicht zugelassen. Das Parlament hatte eigens für ihn ein Gesetz erlassen: Nur wer zwei Jahre einer politischen Formation vorsteht, kann für das Präsidentenamt kandidieren. Ben Jaafar erfüllt diese Bedingung nicht. Ein weiterer Oppositionspolitiker, Nejip Chebbi, zog seine Kandidatur im Spätsommer zurück. «Der Wahl fehlt ein Mindestmass an Freiheit, Integrität und Transparenz», erklärte er.

Ben Ali, der vor fünf Jahren mit knapp 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, regiert Tunesien seit 1987 mit eiserner Hand. Protestbewegungen gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise und gegen Wahlbetrug wurden verfolgt, die islamistische Ennahda-Partei wurde Anfang der 1990er-Jahre verboten. Tausende machten mit dem Gefängnis Bekanntschaft. Seither duldet Ben Ali keine Kritik. Ob weltliche Oppositionsparteien oder Islamisten, ob Menschenrechtler oder Gewerkschaftsaktivisten: Alle bekommen es immer wieder mit dem übermächtigen Staatsschutz zu tun.

Seit 2003 ein neues Antiterrorgesetz verabschiedet wurde, sind laut Amnesty International (AI) etwa 2000 Menschen als Terroristen verurteilt worden. Wer jung ist, einen Bart trägt, oft die Moschee und ein Internetcafé besucht, gilt als verdächtig. «Oft werden Unterlagen gefälscht, um die tatsächliche Dauer ihres Polizeigewahrsams zu vertuschen und so einen Anschein von Legalität zu wahren», heisst es im neuesten Länderbericht von AI.

Ben Ali kann dennoch mit der Unterstützung Europas rechnen. Während im benachbarten Algerien Anfang der 1990er-Jahre ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der Armee und den Islamisten ausbrach, hielt er sein Land ruhig. Tunesien gilt dank Ben Ali als stabil. Dass es dennoch unter der Oberfläche brodelt, zeigte erstmals ein Anschlag auf eine Synagoge auf der Ferieninsel Djerba im Jahr 2002. Den Terrorakt, bei dem 25 Menschen ihr Leben verloren, schrieb das Regime von aussen gesteuerten, Al Qaida nahestehenden Gruppen zu. Doch spätestens zum Jahreswechsel 2006/2007 wurde deutlich, dass sich auch im Land bewaffnete Gruppen gebildet haben. Bei zwei Schiessereien unweit der Hauptstadt Tunis wurden 17 Menschen getötet und mehrere Polizisten schwer verletzt. Während unabhängige Quellen die Überfälle radikalen Islamisten zuschrieben, reden die Behörden bis heute von «Drogenhändlern und Waffenschiebern». Etwas anderes würde den Mythos vom stabilen Tunesien zerstören.


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