Wer an Tabuthemen rührt, lebt gefährlich. Diese Erfahrung muss der franco-marokkanische Filmemacher Nabil Ayouch machen. Sein neuer Film „Much Loved“ – „Zin li fik“ – handelt von der Prostitution in einem der beliebtesten Reiseziele in Marokko, in Marrakesch. Doch was nicht sein darf, kann nicht sein. Der Steifen wurde kurz nachdem er auf dem diesjährigen 68. Filmfestival von Cannes vorgestellt wurde,von der islamistischen Regierung in Marokko verboten. Die älteste marokkanische Partei, die arabo-nationalistische Istiqlal organisierte eine Demonstration, Ayouch und seine Schauspieler werden im Internet mit dem Tode bedroht und ein Schauspieler wurde am Samstag gar Opfer eines tätlichen Übergriffes. Ein junger Schauspieler, der im Film einen saudischen Freier darstellt, wurde in Casablanca auf dem Heimweg nach einem Radiointerview am Hals mit einem Messer verletzt.
Der Film stelle „eine schwere Beleidigung für die moralischen Werte und die marokkanischen Frauen“ dar, heisst es in einem Kommuniqué aus dem Kommunikationsministerium der Regierung in Rabat. Der Film wurde verboten, noch bevor überhaupt ein Antrag auf Genehmigung gestellt wurde. Die marokkanische Regierung hatte eigens eine Kommission nach Cannes geschickt, um dort bei der Vorführung das Werk von Filmemacher Ayouch zu begutachten. „Much Loved“ sei „ein schwerer Angriff auf das Image unseres Landes“, lautet das Urteil.
„Der Film zeigt die Realität und hat eine Botschaft. Er prangert die Prostitution an und ruft zum Kampf gegen sie“, verteidigt sich Ayouch, der durch eine Dokumentation über salafistische Terroristen in Marokko zu internationaler Bekanntheit gelangt war. Der Filmemacher hatte ein Jahr lang im Milieu recherchiert und dabei über 200 Prostituierte interviewt. Im Film geht es um vier Frauen, die um sich und ihre Familie zu ernähren immer tiefer in das Geschäft mit ihrem eigenen Körper geraten. Die Kunden sind reiche Saudies und Europäer. Auch das Thema der homosexuellen Prostitution mit Kindern wird nicht ausgespart. Das Spielfilm gleicht einem Dokumentarfilm. Die Kamera wackelt, die Tonqualität schwankt. Die Schauspieler bedienen sich der Umgangssprache und sparen dabei auch obszöne Ausdrücke nicht aus. All das ist zu viel im puretanischen Marokko.
Das Verbot führte zu einer breiten Diskussion. Die Regierung veröffentlichte in deren Folge erstmals Statistiken über die Prostitution und legte Zahlen aus dem Jahre 2011 vor. Demnach sollen trotz striktem Verbot der Prostitution in den Städten Rabat, Tanger, Fez und Agadir insgesamt 19.333 Frauen und Männer ihrem Körper zum Kauf anbieten. Über 70 Prozent der Kunden seien Einheimische. Die größten Sexmärkte, die Wirtschaftsmetropole Casablanca und das Urlaubsparadies Marrakesch wurden bei der Studie ausgespart. „19.000? Alleine in Casablanca dürfte es so viele sein“, ist sich der Soziologieprofessor Mehdi Alioua an der Internationalen Universität Rabat sicher. Einem Bericht der Panafrikanischen Organisation zum Kampf gegen Aids (OPALS) zu Folge unterhielten knapp 60 Prozent der marokkanischen Prostituierten ihren ersten sexuellen Kontakte für Geld im Alter zwischen 9 und 15 Jahren.