© 2014 Reiner Wandler

Was lange währt

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Tunesiens Verfassungsgebende Versammlung hat sich nach langen Verzögerungen endlich ans Werk gemacht. Seit Freitag wird der Verfassungsentwurf Artikel für Artikel der Debatte und Abstimmung im ersten freigewählten Parlamentes unterzogen. Bis zum dritten Jahrestag des Sturzes des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali, am 14. Januar, sollen die 146 Artikel des neuen, nachrevolutionären Grundgesetzes stehen. Ein Wahlgesetz für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen soll ebenfalls fertiggestellt werden.

Bis zum Wochenende legten die Angeordneten die Grundlagen der neuen tunesischen Republik. Der Text folgt dabei dem, was bereits 1959 in der ersten Verfassung nach der Unabhängigkeit von Frankreich festgeschrieben wurde. Tunesien wird ein „Rechtsstaat“ mit „zivilem Charakter“ sein, die Sprache ist das Arabische, die Religion der Islam.

Anträge der Islamisten, den Koran zur „Quelle des Rechtes“ zu machen wurden abgelehnt, und die ersten Artikel der Verfassung, die den Charakter des Staates definieren mit dem Zusatz versehen, dass sie künftig nicht geändert werden können.

Die Verfassungsgebende Versammlung steht unter Zeitdruck. Die Debattenbeiträge werden deshalb per Stoppuhr auf drei Minuten beschränkt. Gibt es zu viele Wortmeldungen, werden die Redner ausgelost. Die Opposition sieht darin eine Benachteiligung. Denn die stärkste Kraft, die islamistische Ennahda mit 90 von 217 Abgeordneten, hat bei diesem Verfahren größere Chancen zu Wort zu kommen, als kleine, säkulare Parteien. Zu Beginn der Debatten gab es mehrere harsche Wortgefechte, Abgeordnete verließen den Saal. Doch am zweiten Sitzungstag, dem Samstag, beruhigte sich das Diskussionsklima. Jeder Artikel muss mit einfacher Mehrheit angenommen werden. Sobald der gesamte Text steht, muss er zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinen, um endgültig angenommen zu werden.

Obwohl das islamische Recht, die Scharia, nicht in die Verfassung aufgenommen wurde befürchten Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, dass die Verfassung an manchen Punkten zu ungenau ausfällt. Die gelte vor allem für Artikel 6. Er schreibt die Gewissensfreiheit fest, macht den Staat aber gleichzeitig zum „Wächter der Religion“ und des „Heiligen“. „Alles vage muss aus dem Artikel 6 entfernt werden“, heißt es in einer Erklärung der Tunesischen Menschenrechtsliga vom Samstag. Die darin beschriebene doppelte Rolle des Staats „können zu für die Bürger und die Freiheiten bedrohliche Auslegungen führen“.

In den nächsten Tagen dürfte es erneut zu hitzigen Debatten kommen, wenn es um die Rolle der Frau geht. Die Geschlechter sind in Tunesien seit der ersten Verfassung von 1959 gleichgestellt. Die Islamisten würde dies gerne ändern. Für sie „ergänzen“ sich Mann und Frau.

Was bisher geschah: