„Überfahren“ – „Überrollt“- „Exekutiert“ … von der sonst der spanischen Sportpresse eigenen Kreativität, wenn es um Schlagzeilen geht, war nach den haushohen Niederlagen des FC Barcelona in München und des Real Madrid in Dortmund kaum etwas übrig. Auch der Titel „Palizowski“ – übersetzt so etwas wie „Prügelowski“ – unter dem Bild des vierfachen Torschützen der Borussen wirkte mehr als gezwungen. Der Schock saß wohl einfach zu tief, um spät in der Nacht noch gute Aufmacher zu gestalten. Jahrelang daran gewöhnt, Europa im Clubfußball und zuletzt selbst mit der Nationalmannschaft zu beherrschen, kam das Debakel wie ein heftiger Schlag aus heiterem Himmel.
Krise, Kürzungen, Kanzlerin und jetzt auch noch das … die Depression war am Donnerstag in den Bars und Kneipen Madrids zu spüren. Nach Jahren der Siegermentalität war sie wieder da, die alte spanische Weisheit, nach der Fußball ein Spiel von elf gegen elf ist, und am Ende immer Deutschland gewinnt. „Merkel nimmt uns einfach alles weg“, lautete das Urteil an so manchem Tresen.
Waren es die kleinen Freuden der Europameisterschaft, die drakonische Sparmaßnahmen der Regierung des Konservativen Mariano Rajoy zumindest für ein paar Tage vergessen machten, scheinen die Spanier nach dem Debakel von Deutschland endgültig in der Krise und der Depression angekommen zu sein. Dass Europa auseinaderfällt und Spanien nicht einmal mehr im Fußball dazu gehört, wurde plötzlich traurige Realität. Dass im Radio seit Tagen von einem neuen Sparpaket und selbst von einer Anhebung des Rentenalter auf über 67 Jahre die Rede ist, verschärft die Diskussionen noch. „Und da erzählt Rajoy, im Bankenrettungspaket gebe es kein Kleingedrucktes“, lautete einer der Tausende von enttäuschten Nachrichten auf Twitter kurz nach dem Abpfiff.
Es ist von jeher eine Mischung aus Bewunderung, Neid und Ablehnung, wenn es um die Deutschen – die Quadratschädel – aus der Mitte Europas geht. Jetzt wo jährlich Zehntausende junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit von 27 Prozent Richtung Deutschland fliehen, verschärft sich diese Hassliebe. Merkel-Hitler-Vergleiche werden wohlwollend kommentiert. Die deutschen Touristenmassen, die sich Wochenende für Wochenende dank Billigflieger und guter Konjunktur zu Huase durch Madrids Innstadt wälzen, werden längst wieder misstrauisch und mit Ablehnung beäugt, wie einst in den 1980er Jahren vor dem Boom, der Spanien wirtschaftlich „in die Champions League“ brachte, wie das Rajoys Vorgänger der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero gerne ausdrückte. Es schmerzt einfach Kneipen zu sehen, in denen fast nur noch Besucher aus Nordeuropa sitzen.
Fußball war bis Anfang dieser Woche so etwas wie die Rache des kleinen Mannes. Das Bild wie Merkel völlig ungehemmt den Sieg gegen Griechenland feierte machte in Spanien die Runde. Der Titelgewinn der Roja war die ausgleichende Gerechtigkeit. Es war die Lektion der PIGS für die Berliner Lehrmeisterin, die in Karikaturen immer wieder als gestrenge Domina in Lederkluft und mit Peitsche dargestellt wird.
Die Deutsche Welle auf Spanisch verbreitete vergangenes Wochenende ein Zitat der Kanzlerin aus einem Interview. Sie schwärmte von einem rein deutschen Champions-League-Finale. Die Presse auf der Ibersischen Halbinsel griff dies auf. Doch da waren sich in Madrid noch die meisten sicher, dass vielleicht der FC Barcelona gegen die Bayern ausscheiden werde, aber Real gegen Dortmund … undenkbar. Jetzt ist dies fast schon Gewissheit, auch wenn die Sportzeitung AS mit dem Mut der Verzweifelten zur „Operation 3:0“ beim Rückspiel im Bernabéu trommelt.