Es ist eine Premiere. Das sogenannte Abtreibungsschiff der holländischen Frauenorganisation Women on Waves hat am Donnerstag mit Marokko erstmals erstmals ein muslimischen Land angelaufen. Kaum hatte das Schiff im Yachthafen in Smir, unweit der nordmarokkanischen Stadt Tetuan angelegt, zogen Polizei und Armee auf. „Der ganze Hafen wurde von Uniformierten und Zivilbeamten hermetisch abgeriegelt“, beschwert sich die Sprecherin der Aktion, Rebecca Gomperts. Vor dem Hafen demonstrierten konservative Frauen und Männer mit Fotos blutiger Föten. Schließlich wurde die Crew von einem Kriegsschiff gezwungen ohne die Frauen, die mittlerweile an Land waren, die marokkanischen Hoheitsgewässer zu verlassen.
„Nicht einmal unser Anwalt durfte zurück an Bord. Die Mitglieder der Mannschaft wurden identifiziert und fotografiert, die Fahnen von Women on Waves beschlagnahmt“, beschwert sich Gomperts. Sie will zusammen mit 20 holländischen und marokkanischen Aktivistinnen dennoch in Marokko bleiben. Die seit 1999 tätige Organisation wurde von der marokkanischen Alternativen Bewegung für Individuelle Freiheiten (MALI)) eingeladen. Women on Waves hatte in der Vergangenheit durch ähnliche Aktionen in Ländern wie Irland, Spanien oder Portugal für Aufsehen gesorgt.
„Trotz Repression haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Gomperts. Es sei gelungen das strikte Verbot der Abtreibung in Marokko zu thematisieren. „Und wir haben eine telefonische Hotline eingerichtet, auf der wir Frauen informieren, wie sie mit einem völlig legal erhältlichen Medikament selbst eine ungewollten Schwangerschaft beenden können“, sagt sie. Der Plan, Frauen auf dem Schiff außerhalb der Hoheitsgewässer zur Abtreibung zu verhelfen, kann allerdings nach der Intervention der Marine nicht umgesetzt werden.
„Die Demonstration und die Aktion der Sicherheitskräfte soll den Eindruck erwecken, wir seien in Marokko unerwünscht“, sagt Gomperts. „Doch dem ist nicht so. Außerhalb des Hafens, in Geschäften und Cafés werden wir freundlich empfangen.“ Denn was die Regierung der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung am liebsten verschweigen will, ist in Marokko ein trauriges Thema. Täglich – so die Angaben der stellvertretenden Vorsitzenden der Marokkanischen Vereinigung zum Kampf gegen klandestine Abtreibung (AMLAC) Salwa Abourizk – werden im nordafrikanischen Land zwischen 500 und 600 Abtreibungen vorgenommen, und das trotz striktem Verbot. Das Gesetz sieht für Frauen, die abtreiben, Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zwei Jahren vor. Wer den Frauen dabei hilft, kann bis zu zehn Jahren – und im Falle des Todes der Frau – bis zu 20 Jahre hinter Gitter wandern. Selbst im Falle einer Vergewaltigung ist eine Abtreibung illegal.
Die meisten Abtreibungen werden in Marokko ohne jegliche hygienische und medizinische Garantien vorgenommen. Denn nur wer 150 bis 500 Euro hat, kann eine der Kliniken besuchen, die vorbei am Gesetz ungewollte Schwangerschaften unterbrechen. Der Rest fällt in die Hände von irgendwelchen KurpfuscherInnen, oder versucht mit allerlei brachialen Hausmitteln die Schwangerschaft selbst zu beenden. Pro Jahr sollen, so Women on Waves, im Marokko 78 Frauen an Folge dieser Praktiken sterben.
Die Regierung begründet die harte Linie mit der Religion. „Die Frau hat das Recht über ihren Körper selbst zu bestimmen“, beschwert sich Abourizk. Das sei ein universelles Recht. Da selbst namhafte Imame davon ausgehen, dass der Fötus erst nach frühestens 40 Tagen eine Seele hätten, fordert AMLAC eine Fristenregelung, die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zehn bis zwölf Wochen erlaubt. Außerdem will AMLAC erreichen, dass an Gymnasien und an den Universitäten über Verhütungsmittel informiert wird. Doch auch das ist unter der strikt, konservativen Auslegung der Religion nicht möglich. Und vorehelicher Geschlechtsverkehr wird in Marokko ebenfalls mit bis zu einem Jahr Haft bestraft.
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Frauen ohne Rechte
Marokko ist das restriktivste Land in Nordafrika wenn es um das Recht auf Abtreibung geht. Nur wenn das Leben der Frau gefährdet ist, darf eine Schwangerschaft unterbrochen werden. In allen anderen Fällen droht der Frau eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zwei Jahren und denen, die den Eingriff vornehmen bis zu zehn Jahre – im Falle des Todes der Frau bis zu 20 Jahren.
Im benachbarten Algerien sind die Strafen auf einen außergesetzlichen Schwangerschaftsabbruch ähnlich hoch. Doch die Regelung lässt einen Schwangerschaftsabbruch auch dann zu, wenn die Frau psychisch schweren Schaden nehmen könnte. Außerdem darf abgetrieben werden, wenn der Fötus schwere Missbildungen aufweist. Anders als in Marokko gibt es auch für Vergewaltigungsopfer eine Regelung. In diesem Falle ist die Abtreibung allerdings nur dann erlaubt, wenn der sexuelle Übergriff im Rahmen eines terroristischen Gewaltaktes stattfand. Diese Bestimmung wurde 2004 eingeführt und kam damit für die viele Opfer des islamistischen Terrors in den 1990er Jahren zu spät.
Am liberalsten ist Tunesien, und das nicht erst seit der Revolution vom Januar 2011. Bereits 1973 wurde die Abtreibung im kleinsten der drei nordafrikanischen Länder freigegeben. Damit ist Tunesien die große Ausnahme in Afrika und in der arabischen Welt. Ein breites Spektrum von medizinischen und sozialen und ökonomischen Indikationen erlaubt den Schwangerschaftsabbruch eigentlich immer. Dieser wird dann in einer Fachklinik vorgenommen.
„Die Frauen in Marokko haben keinerlei Rechte“, beschwert sich die Sprecherin der Alternativen Bewegung für Individuelle Freiheiten, Betti Lachgar, auf deren Einladung Women on Waves nach Marokko reiste. Trotz der Reformierung des Familiengesetzes vor acht Jahren, die Frauen mehr Rechte einräumte, ist die soziale Realität eine andere. Sechs Millionen Marokkanerinnen – mehr als ein Drittel – sind nach Angaben des Familienministeriums regelmäßig Opfer von Gewalt. 55 Prozent dieser Übergriffe werden von den Ehemännern verübt. Ein Gesetz, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt, liegt dem Parlament seit zwei Jahren vor. Abgestimmt wurde darüber bis heute nicht.
In Marokko geht ein Vergewaltiger dann straffrei aus, wenn er sein Opfer heiratet. Nach dem Selbstmord einer jungen Frau, die zu einer solchen Ehe gezwungen wurde, kam es im Frühjahr überall im Land zu Demonstrationen.
Eine Umfrage einer psychiatrischen Klinik, die im Laufe der Abtreibungsdebatte jetzt in der Internetseite La Vie Marocaine zitiert wurde, ist erschreckend. 70,3 Prozent der befragten Frauen sehen Sex einzig und alleine in Verbindung mit „dem Wunsch nach Kindern“. Für 28,8 Prozent ist es „Pflicht“ und nur für 1,3 Prozent „Vergnügen“.