„Wir sind für die Monarchie, aber gegen eine Regierung, die arbeitet, während sie ständig Anrufe erhält“, fordert Abdelillah Benkirane vor jubelnden Anhängern, eine unabhängige Regierung ohne Einmischung aus dem Königspalast. Der Generalsekretär und Spitzenkandidat der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) möchte marokkanischer Regierungschef werden. Viele sehen Benkiranes islamistische Formation vorn. Bestätigt sich die heute (Freitag) an den Urnen, müsste König Mohamed VI. die PJD mit der Regierungsbildung beauftragen. So sieht es die in seinem Auftrag reformierte Verfassung vor, die am 1. Juli per Volksabstimmung angenommen wurde. Bisher war der König völlig frei, wem er das Amt des Regierungschefs übertrug.
„Uns zu wählen, heißt gegen die Korruption zu wählen“, lautet das Hauptargument von Benkirane. Der redegewandte Ingenieur mit gepflegtem Bart kritisiert die alte politische Klasse. In den Reihen seiner PJD befinden sich Lokalpolitiker und auch Juristen, die der Garde aus palasthörigen Regionalfürsten seit Jahren die Stirn bieten.
Benkirane redet viel von Arbeitslosigkeit, Armut und fehlender Sozialversorgung. Themen, wie das liberalere Familienrecht, das einst gegen die Proteste der Islamisten durchs Parlament ging, lässt er ebenso aus, wie das oft geforderte Verbot alkoholischer Getränke. Bis auf einige Koranszitate am Ende der Wahlkampfveranstaltungen, hält sich Benikrane mit religiösen Zitaten zurück. Der PJD-Kandidat gibt sich betont moderat. Sein Vorbild ist die AKP Erdogans in der Türkei.
„Das ist exakt das gleiche Panorama wie 2007. Auch damals schrieben alle von einem bevorstehenden Erdrutschsieg der Islamisten“, sagt der derzeitige Wirtschafts- und Finanzminister, Salaheddine Mezouar. 2007 gewann die PJD was die Zahl der Stimmen angeht. Doch die ungleiche Gewichtung der Wahlbezirke zugunsten der ländlichen Regionen ließ die Nummer Zwei, die Istiqlal, die einst das Land in die Unabhängigkeit führte, mit mehr Abgeordnete ins Parlament einziehen als die PJD. Benkirane musste sich mit der Oppositionsbank begnügen.
Mezouar hat im Auftrag des Königshauses ein Bündnis aus acht Parteien, die sogenannten G8, geschmiedet, die zusammen im bisherigen Parlament 48 Prozent der Sitze halten. Der Technokrat gibt sich betont weltlich, redet viel von der wirtschaftlichen Zukunft des Landes in Zeiten der internationalen Krise.
Dass die Sympathie des Königs Mezouar und nicht den Islamisten gilt, ist kein Geheimnis. „Lassen Sie sich von ihnen nicht täuschen, manchmal geben sie sich vernünftig und freundlich“, erklärte der Monarch laut Wikileaks bereits vor Jahren gegenüber einem US-Senator.
Die größte Sorge im Palast gilt der Wahlbeteiligung. Die Demokratiebewegung 20. Februar, dem Tag als sie erstmals für eine echte konstitutionelle Monarchie und gegen die Korruption auf die Straße gingen, ruft zum Boykott. Die größte islamistische Kraft des Landes, die nicht legalisierte Gerechtigkeit und Geistlichkeit, sowie mehrere kleinere linke Parteien schließen sich dem an. Vergangenen Sonntag demonstrierte erneut Zehntausende in Marokkos Städten.
Da nur knapp 14 der 21 Millionen Marokkaner im wahlberechtigten Alter in den Wählerlisten eingeschrieben sind, lag die Beteiligung 2007 bei nur 37 Prozent. Würde sie erneut niedrig ausfallen, wäre dies ein Schlag für die Glaubwürdigkeit der neuen Volksvertretung und vor allem für die zaghaften Reformen, die Mohamed VI. als Reaktion auf den arabischen Frühling veranlasste. Mehrere Hundert derer, die zum Boykott rufen, wurden in den letzten Wochen verhaftet und verhört. „Das Recht frei zu wählen, beinhaltet auch das Recht nicht zu wählen und andere dazu aufzufordern“, verurteilt die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die Repression./Foto: Wikipedia