Wenn Lina Ben Mhenni eines nicht brauchte, dann war es der Aufruf „Empört Euch!“ von Stephane Hessel. Die tunesische Bloggerin hatte fast ihr ganzes Leben unter „dem Alptraum namens ZABA … gemeint ist Zine El Abidine Ben Ali …“ verbracht. Grund zur Empörung fehlte ihr also nicht. Was sie sorgte, war die Möglichkeit dem tunesischen Diktatur die Stirn zu bieten. Und sie fand schließlich einen Weg in Form des Internets. „Vernetzt Euch!“ heißt das Buch von Ben Mhenni, eine Vertreterin der junge Generation, die dem ZABA-Spuck ein Ende bereitete.
Unter dem Namen „A Tunisian Girl“ bloggt die 27-jährige Ben Mhenni nicht erst seit den Tagen der Revolution. Doch es war in den Wochen, die zum Sturz Ben Alis führte, als ihr Blog, ihr Facebook Tausende, ihr Twitter und ihre youtube-Videos mithalfen, den Kurs der Geschichte zu ändern. Unermüdlich berichtete Ben Mhenni von Protesten, Menschenrechtsverletzungen, Repression, Tote durch die Kugeln der Polizei. Die über zwei Millionen Facebookuser Tunesiens sogen die Informationen auf. Viele schalteten den Computer ab und handelten. Am 14. Januar war es dann soweit: Nach 23 Jahre an der Macht floh Staatschef Ben Ali ins Exil nach Saudi Arabien. Der arabische Frühling hatte seinen ersten Sieg davongetragen.
„Alleine kannst du nicht bewirken?“ hatten viele der älteren Oppositionellen Blogger wie Ben Mhenni immer wieder kritisiert. „Die Erfahrung hat mich das Gegenteil gelehrt“, schreibt sie und lässt uns an ihrer Geschichte und damit an der Geschichte der ersten Facebookrevolution teilhaben.
„Das Netz ist so mächtig, weil es unmittelbar reagieren und unbegrenzt viele Menschen miteinander verbinden kann“, ist sich die 27-jährige Dozentin für Linguistik an der Universität in Tunis sicher. Ben Mhenni verbindet virtuelle und reale Welt. „Ein echter Cyber-Aktivist klebt beileibe nicht nur an seinem Bildschirm, er begibt sich an die realen Schauplätze des Geschehens, fotografiert, filmt vor Ort, befragt Augenzeugen – und dann kehrt er an den Bildschirm zurück, um die Ergebnisse seiner Recherchen ins Netz hochzuladen und andere daran teilhaben zu lassen.“
Als eine Art Bürgerreporterin war die junge Frau aus einer Oppositionsfamilie überall. Ob bei den ersten zaghaften Protesten gegen die Internetzensur, die sie zusammen mit weiteren Bloggern 2009 und 2010 vom Netz auf die Straße trug, bis hin zu den Demonstationen in Zentraltunesien, von wo die Revolution im Dezember 2010 ausging. Sie machte Fotos und Videos von Polizeieinsätzen, besuchte Krankenhäuser und veröffentlichte Opferlisten, befragte Familien, die einen der Angehörigen durch die Polizeikugeln verloren hatte. „Das Netz ist ein unvergleichliches Mittel der Mobilisierung: es überwindet sämtliche Schranken, Zäune und Mauern, Verbote und Grenzen, Parteizugehörigkeiten und sogar individuelle Hemmungen – wie in meinem Fall die Schüchternheit“ – beschreibt die zierliche Frau ihre Erfahrung.
Wie weiter nach der Revolution? Für Ben Mhenni ist die Antwort klar. „Ich bin ein freies Elektron und möchte es bleiben.“ Angebote sich in einer Partei zu engagieren, lehnt sie strikt ab, denn „bei der Parteiarbeit wird die Zeit streng eingeteilt, man ist eingespannt, gefesselt (…). Die Unmittelbarkeit geht verloren. Es gibt lauter Vorschriften, Protokolle, Grenzen.“ Das „Tunisian Girl“ setzt weiter auf die horizontale Vernetzung der Menschen. „Alle Tunesier haben die Revolution mitgetragen, keiner war ihr Anführer, aber alle haben sie auf die eine oder andere Weise angeführt“, resümiert Ben Mhenni.
Zu tun gibt es genug. Zwar hat Ben Ali seinen Platz geräumt, „aber er hat vieles hinterlassen“. Seilschaften in Staat und Verwaltung, Gewohnheiten, Medienstrukturen, Anhänger des alten Regimes, die versuchen Chaos und Gewalt zu schüren … „Wir müssen uns schleunigst wieder an die Bildschirme setzen. Eine Bloggerin hat immer zu tun“, verabschiedet sich Lina Ben Mhenni von den Lesern ihres Buches. Na dann, auf ein Neues im Netz und auf der Straße.
„Vernetzt Euch!“ – Lina Ben Mhenni, Ullstein, Berlin, 2011.