Tunesien kennt nur ein Thema. Am Montag begann vor dem Amtsgericht in der Hauptstadt Tunis der erste einer langen Reihe von Prozessen gegen den gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali und seine Frau Laila Trabelsi. Insgesamt werden den beiden 93 Delikte vorgeworfen. Ben Ali droht die Todesstrafe, Trabelsi lebenslange Haft. „Die Stunde der Wahrheit“ titelt zum Prozessauftakt die tunesische Tageszeitung La Presse und feiert, dass „erstmals in unserer Geschichte ein Präsident, der zu einem Räuber und blutrünstigen Diktator verkommen ist, wegen einer ganzen Reihe von Delikten, darunter Hochverrat, vor Gericht gestellt“ wird. Der Prozess wird vor leerer Anklagebank stattfinden. Denn das Paar floh am 14. Januar, nach knapp einem Monat ständig zunehmender Proteste, nach Saudi-Arabien.
Die Liste der Anklagepunkte vor dem Amtsgericht Tunis ist lang. Es geht unter anderem um Waffen- und Drogenbesitz, Geldwäsche, illegale Bereicherung. Der Hintergrund sind die spektakulären Funde in zwei Präsidentenpalästen vor den Toren der Hauptstadt. In gut versteckten Schränken fand die Polizei unter anderem Wertpapiere, 27 Millionen Dollar in bar und teuren Schmuck. Als „die Höhle des Ali Baba“ gingen die Bilder tagelang durchs Staatsfernsehen. Andere Amtsgerichte, vor allem an der Küste Tunesiens, wo das Paar mehrere Villen unterhielt, ermitteln ebenfalls. Weitere Prozesse werden folgen.
Viele der Anklagepunkte stützen sich auf die Berichte der unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Korruption in den 23 Jahren, in denen Ben Ali mit seiner mittlerweile aufgelösten Staatspartei RCD das Land fest in der Hand hielt. „Wir haben in den letzten zweieinhalb Monaten hart gearbeitet und insgesamt 600 Immobilien mit einem Gesamtwert von 3 Milliarden Dinar ausgemacht“, erklärt der Vorsitzende der Kommission, Mohamed Adel Ben Ismail. Umgerechnet sind dies knapp 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen rund 300 Unternehmen, die der Familie des Präsidentenpaares gehörten. Mit Hilfe billiger Kredite aus staatlichen Geldinstituten rissen sich die Clans Ben Ali und Trabelsi bei der Privatisierung von Staatsunternehmen alles unter den Nagel, was lukrativ erschien. Oftmals wurden die Kredite nicht einmal zurück bezahlt.
Auch ausländische Unternehmen konnten nur dann ungestört im Lande arbeiten, wenn sie jemanden aus der Familie mit an Bord hatten. Ob französische Supermarktketten, oder der Import der allermeisten Automarken, egal ob aus Deutschland, Frankreich oder Asien, alles blieb in der Familie. Und erfolgreiche tunesische Firmen konnte es schnell passieren, dass ein Clanmitglied Anteile aufkaufte oder ganz einfach einforderte. „Wir forschen weiter. Und es ist gut möglich, dass die Zahl der Unternehmen wächst“, erklärt Ben Ismail. Seine Kommission hat mittlerweile eine Liste mit 155 mutmaßlichen Tätern erarbeitet.
Auch im Ausland hält die Familie ein breites Netz aus Immobilien und Konten. Wie groß das Vermögen tatsächlich ist, darüber gibt es nur Schätzungen. Denn Länder wie die Schweiz haben zwar das Vermögen eingefroren, doch gilt nach wie vor das Bankgeheimnis. Internationale NGOs, wie Transparency International, schätzen das Gesamtvermögen der Clans von Ben Ali und Frau auf über 3,5 Milliarden Euro.
Tunesiens Justiz ermittelt auch in Sachen Repression gegen den gestürzten Diktator. 35 Delikte, von Folter, über Mord bis hin zu Hochverrat, liegen bei drei Militärgerichten im Süden und Zentrum des Landes. Auch die Armee stützt sich dabei auf die Arbeit einer unabhängigen Kommission, die sich mit den Opfern bei den Protesten von Mitte Dezember 2010 bis zum Sturz der Diktatur am 14. Januar 2011 beschäftigt. Insgesamt geht es bisher um 182 Fälle. Die meisten von ihnen wurden von Polizisten erschossen.
Außerdem untersucht die Militärjustiz die Vorfälle in den Tagen unmittelbar nach der Flucht Ben Alis, als überall im Lande Scharfschützen, die vermutlich aus der Präsidentengarde und den Privatmilizen des herrscherpaares stammten, die Städte des Landes unsicher machten. Ein internationaler Haftbefehl und ein Auslieferungsantrag an Saudi-Arabien ist in Vorbereitung. Ben Ali soll sogar die Armee beauftragt haben soll die Hochburgen der Proteste im Landesinneren zu bombardieren. Die Armee weigerten sich damals und stellte sich in einigen Städten zwischen die Demonstranten und die Polizei, um weitere Todesopfer zu verhindern.
Dem Präsidentenpaar wurde von de tunesischen Justiz fünf Pflichtverteidiger zugeordnet. Ben Ali selbst beauftragte Anwälte in Beirut und Paris. Während die Pflichtverteidiger ihrem Mandanten empfehlen nach Tunesien zurückzukehren, sprechen die Wahlverteidiger von einer „Maskerade, die nur zum Ziel hat, symbolisch den Bruch mit der Vergangenheit zu demonstrieren“.