„Ich kann nicht in Worte fassen, was ich empfinde“, erklärt einer der drei Männer, die sich Schals in den tunesischen Nationalfarben umgehängt haben. Ein kurzer Blickkontakt untereinander und dann geht hinaus in die Heimat. Dutzende von Angehörigen und Freunde drängen sich in der Ankunftshalle des Flughafens von Tunis. Freudenrufe, Tränen, Umarmungen. „20 Jahre im Exil in Paris, und jetzt endlich zurück“, erklärt der Älteste der Drei, bevor er erneut von Freunden in Beschlag genommen wird.
Es ist kein schlechter Tag um heimzukehren. Es ist der 14. Februar. Auf der Flaniermeile von Tunis, der Avenue Bourguiba herrscht Feststimmung. Denn es ist genau ein Monat vergangen, seit Präsident Zine El Abidine Ben Ali vor den Protesten der tunesischen Jugend Reißaus nahm.
Die Menschen feiern dort, wo noch vor einem Monat die großen Demonstrationen gegen den verhassten Diktator stattfanden, ihre Revolution und sich selbst. „Ein herzliches Adieu Ben Ali“, singt eine Clique junger Frauen zur Melodie von Happy Birthday. Fahnen, Luftballons, Popcorn … wer die Straße aus den Tagen der Revolution kennt, traut seinen Augen nicht.
„Sankt Valentin wird zu Sankt Revolution“, titelt eine der großen Tageszeitungen des Landes. Es ist das Fest, das vor einem Monat nicht stattfinden konnte. Damals herrschte Ausnahmezustand und strikte Ausgangssperre. Scharfschützen und Milizionäre des gestürzten Regimes verbreiteten Angst. Jetzt verteilen Menschen Blumen an die Soldaten, die in jenen Tagen für Sicherheit sorgten und die mit ihren Panzern noch immer vor dem Innenministerium stehen.
Auf der Theatertreppe haben sich Hunderte meist junger Menschen versammelt. „Mein Herz schlägt nur für Dich Tunesien, mon amour“, steht auf einem Schild. „Wir haben es allen vorgemacht, wie es geht. Schau nach Ägypten, ohne uns wäre das nicht möglich gewesen“, erklärt ein junger Mann, bevor er wieder lautstark Ben Ali verabschiedet.
Überall stehen kleinere und größere Gruppen und debattieren über die Zukunft. „Das wichtigste ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, meint der 28-jähriger arbeitslose Agraringenieur Mohammed. Seine Freunde, selbst alles Akademiker ohne Job, stimmen ihm zu.
Andere zerbrechen sich den Kopf über den künftigen Staatsaufbau. Eine Gruppe von Studenten aus der technischen Hochschule sind sich einig. „Der Präsident darf nur ganz wenig Macht haben. Wir brauchen ein starkes Parlament“, erklärt einer von ihnen, der 23-jährige Mahdi.
Die derzeitige Entwicklung laufe in die falsche Richtung. „Wir können den Übergang nicht mit ein paar Änderung an der Verfassung machen. Schau nach Ägypten, da haben sie die Verfassung einfach aufgehoben“, sagt Mahdi. Wenn es nach ihm ginge, müsste zuerst eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden und nicht ein neuer Präsident, wie es die Übergangsregierung anstrebt. „Ich bin mir sicher, dass dies viele genau so sehen“, sagt der junge Mann, doch „das Volk, das Land ist müde, um weiter auf die Straße zu gehen.“
Die Jungs bleiben kurz vor dem Hotel Africa stehen. Das teuerste Haus auf der Avenue Bourguiba ist seit einer Woche geschlossen. „Wir sind im Streik“, haben die Arbeiter, die sich jeden Tag im Hotel treffen, auf die Metallwände gesprüht, die seit den großen Demonstrationen vor einem Monat die Scheiben des Eingangsbereiches schützen. Andere Parolen berichten von prekären Verträgen und niedrigen Löhnen.
Überall macht sich die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen Luft. Die Müllabfuhr streikt. Tunisair musste am Wochenende Flüge wegen eines Arbeitskampfes stornieren. „Es ist gut, dass alle für ihre Rechte kämpfen“, beschließt die Clique, bevor sie in einer Menge verschwinden, die einem Straßenmusiker zuhört.
Jalel ist sich da nicht so sicher: „Wir können nicht einfach nur Forderungen stellen. Wir haben eine Verantwortung für das Land“, erklärt der 52-jährige Französischlehrer, der sich eine Ägyptenfahne über die Schultern gehängt hat. Seine fünfjährige Tochter tut es ihm gleich, aber mit der tunesischen Flagge.
Jalel berichtget von einem Schweigemarsch am Nachmittag, der die Landsleute aufforderte, eigenen soziale Interessen hinten anzustellen, solange der Übergang zur Demokratie nicht gefestigt sei. „Denn sonst bricht die Wirtschaft zusammen“, mahnt Jalel. Und das könne chaotische Zustände zur Folge haben. „Wir wollen doch nicht, dass die Leute irgendwann sagen, unter Ben Ali war alles besser“, meint er noch, bevor er dem Drängen seiner Tochter nachgibt. Sie will endlich ein Eis.