Der Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) verpasst der spanischen Justiz eine schallende Ohrfeige. Er bestätigte, dass der ehemalige Vizeregierungschef Oriol Junqueras nach seiner Wahl zum Europaabgeordneten unrechtmässig in Untersuchungshaft gehalten und damit letztendlich unrechtmässig zu 13 Jahren Haft wegen „Aufruhr“ verurteilt worden war. Denn er genoss ab dem Moment parlamentarische Immunität, als vergangenen Mai das Wahlergebnis vorlag – egal, ob er den Eid vor der spanischen Wahlbehörde leisten konnte oder nicht.
Das gleiche dürfte für den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont sowie einen ehemaligen Minister, Toni Comin gelten, die beide seit Oktober 2017 in Brüssel leben und ebenfalls wegen der Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums des „Aufruhrs“ beschuldigt werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Oberste Gericht in Madrid des unrechtmässigen Handelns beschuldigt wird. Internationale Prozessbeobachter, darunter Amnesty International, kritisierten den Vorwurf des „Aufruhrs“ als überzogen und forderte die Freilassung eines Teils der Inhaftierten. Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gegen willkürliche Verhaftungen sieht das ähnlich. Und die deutsche Justiz verweigerte die Auslieferung Puigdemonts nach Spanien. Das Oberlandesgericht Schleswig wollte den Vorwurf, der damals noch auf „Rebellion“ lautete, nicht nachvollziehen.
Wer glaubt, die Richter in Madrid würden jetzt einlenken, liegt falsch. Junqueras wird in Haft bleiben. Puigdemont, Comin und eine andere Ex-Ministerin werden weiterhin per europäischem Haftbefehl gesucht. Belgien und Schottland müssen darüber entscheiden. Das Urteil in Luxemburg wird sich positiv für die drei auswirken.
Es ist der vorläufige Höhepunkt einer völlig verfehlten Strategie gegenüber der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Der damalige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy überließ das Problem einzig und alleine der Justiz. Die meisten Obersten Richter kommen aus dem Umfeld seiner konservativen Partido Popular. Doch auch der seit Juni 2018 regierende Sozialist Pedro Sánchez besass bisher nicht den Mut zu einem Wechsel.
Der letzte Schritt ist ein Urteil gegen Puigdemonts Nachfolger im Amt des katalanischen Regierungschefs, Quim Torra. Dieser wurde nur wenige Minuten nach dem Spruch des EuGH in Luxemburg dazu verurteilt, eineinhalb Jahre kein öffentliches Amt bekleiden zu dürfen. Und das, weil er Anordnungen der Wahlbehörde nur zögerlich nachkam.
Will Spanien nicht auch noch das letzte bisschen demokratisches Ansehen verspielen, tut eine radikale Wende Not. Junqueras muss auf freigelassen, die europäischen Haftbefehle gegen Puigdemont und die anderen zwei zurückgezogen werden.
Dem muss ein ernsthafter Dialog folgen. Denn ein politisches Problem – um ein solches handelt es sich bei der Forderung nach Unabhängigkeit zweifelsohne – kann nicht mit Gerichtsverfahren gelöst werden, denen ein Staatsdoktrin zu Grunde liegt, die nur allzu deutlich an längst vergangen geglaubte Zeiten erinnert./Foto: Amadalvarez