Spaniens Sozialisten sind zurück. Das staatliche Meinungsforschungsinstitut CIS sieht die Sozialistische Arbeiterpartei Spanien (PSOE) für die Wahlen am Sonntag bei bis zu 138 der 350 Abgeordneten im spanischen Parlament. Die Partido Popular (PP) liegt mit maximal 76 Sitzen weit abgeschlagen dahinter. Und selbst die Summe der drei rechten Parteien, neben PP, die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) und die rechtsextreme VOX, die erstmals ins Parlament einziehen wird, ergibt wohl kaum eine Regierungsmehrheit.
Ministerpräsident Pedro Sánchez steht damit vor einem Sieg, den ihm noch vor wenigen Monaten kaum jemand zugetraut hätte. Beim letzten Urnengang im Juni 2016 wurde die PSOE fast von der linksalternativen Unidas Podemos (UP) überholt. Zuletzt verfügten die Sozialisten noch über 84 Abgeordnete.
Erst ein Misstrauensvotum brachte den 47-jährigen Wirtschaftswissenschaftler Sánchez vor knapp elf Monaten überhaupt an die Macht. Eine Parlamentsmehrheit aus Sozialisten, UP sowie Nationalisten aus Katalonien und dem Baskenland wählte den bis dahin regierende Konservative Mariano Rajoy ab, nachdem seine PP wegen schwerer Korruption verurteilt worden war. Es war das erste Misstrauensvotum in der Geschichte der spanischen Nach-Franco-Demokratie, das erfolgreich endete. Sánchez wurde Ministerpräsident, obwohl er nicht einmal mehr dem Parlament angehörte.
„Der schöne Pedro“, wie die Presse den hochaufgewachsenen Mann, der in seinen Jugendjahren Basketball spielte, taufte, hatte nur diese eine Chance und er nutzte sie. Sánchez stellte eine betont pro-europäische, paritätisch besetzte Regierung aus bekannten sozialistischen PolitikerInnen und fortschrittliche gesinnten Unabhängigen zusammen.
Staatsmännisch machte sich der erste Regierungschef Spaniens, der fließend englisch spricht, an die Arbeit. Woche für Woche stellt sein Kabinett neue fortschrittliche Sozialmaßnahmen vor, selbst dann noch, als längst das Parlament ausgelöst und Wahlen angekündigt waren. Die Anhebung des Mindestlohnes, Rentenanpassung, Stütze für Langzeitarbeitslose über 52 Jahre, ein Mietgesetz, ein Gesetz für den Eigenkonsum erneuerbarer Energien, Programme für Opfer sexualisierter Gewalt sind nur einige Beispiele.
Pressewirksam ließ er in einer seiner ersten Amtshandlung das Flüchtlingsschiff Aquarius in Spanien anlegen, nachdem kein anderer Mittelmeeranrainer die über 600 Hilfesuchenden aufnehmen wollte. Und er kündigte an, die sterblichen Überreste des einstigen Diktators Francisco Franco aus einer Gedenkstätte auf einen Privatfriedhof umbetten zu lassen. Ein Ansinnen, das nach einer Klage der Familie die Gerichte beschäftigt.
Aber es sind auch die Fehler der anderen, die Sánchez in der Gunst der Wähler steigen ließen. Cuidadanos (Cs), die vor vier Jahren am rechten Rand der Sozialisten erfolgreich auf Stimmenjagd gingen, haben sich mittlerweile soweit nach rechts entwickelt, dass sie selbst mit der rechtsextremen VOX keine Berührungsängste mehr haben. Im südspanischen Andalusien regieren sie seit Dezember in Koalition mit der PP, dank der Unterstützung durch die Ausländer- und frauenfeindliche VOX. Sánchez nutzt dies im Wahlkampf. „Ich will ein Spanien, das in die Zukunft schaut und nicht 40 Jahre zurückfällt“, warnt er vor den „drei Rechten“.
Auch auf der Linken kann der Sozialist Stimmen zurückgewinnen. Tingelte Sánchez vor vier Jahren noch als Kopie des überall präsenten und beliebten Pablo Iglesias durch Tratsch- und Klatschprogramme, um seine Bekanntheit zu steigern, gibt er heute kaum noch Interviews. Wer nicht spricht, macht keine Fehler, scheint das Motto seines Wahlkampfteams zu lauten. Und er hat es auch gar nicht nötig. Das Amt gibt ihm die Popularität, die ihm bisher fehlte.
Gleichzeitig sinkt die Beliebtheit von Podemos-Chef Iglesias. Er ging 2016 mit den Postkommunisten zusammen. Aus Podemos wurde Unidas Podemos (UP). Das Bündnis rutschte deutlich nach links, anstatt weiterhin, wie etwa Syriza in Griechenland, mit den Sozialisten um deren Platz im politischen Spektrum zu streiten. Innerparteiliche Kritiker des Kurswechsels wurden kalt gestellt. In der Region Madrid spaltete sich die junge Partei gar.
Auch wenn sich Iglesias jetzt von seiner menschlichen und besonnenen Seite gibt, die Zeiten haben sich geändert. Die Umfragen sagen UP den Verlust von bis zur Hälfte ihrer Abgeordneten vorher. Die Wähler kehren – so scheint es – in Scharen zu den Sozialisten zurück, denen sie aus Verärgerung über die Austeritätspolitik, die unter dem letzten Ministerpräsidenten aus den Reihen der PSOE, José Luis Rodríguez Zapatero, begonnen hatte, den Rücken gekehrt hatten.
Niemand hätte Sánchez all das wirklich zugetraut. Er wurde in seiner kurzen Karriere, die ihn zuerst vom Stadtrat in Madrid auf die hinteren Parlamentsbänke der Sozialisten führte, mehrmals für politisch tot erklärt. 2014 gewann der Aussenseiter die ersten Urwahlen eines Parteichefs bei den Sozialisten. Nach den zwei Wahlniederlagen und der erfolglosen Kandidatur vor dem Parlament zum Regierungschef 2015, verlangten der Parteiapparat von ihm, die PSOE möge sich enthalten, damit der konservative Rajoy erneut zum Regierungschef gewählt werden kann. Sánchez verlor das innerparteiliche Tauziehen, legte den Parteivorsitz nieder und verließ kurz darauf auch das Parlament. Rajoy wurde mit Stimmenthaltung der PSOE im Amt bestätigt.
Der geschlagene Sánchez ging zurück an die Basis und bereitete mit seinen allerengsten Verbündeten das Come Back vor. Es gelang. 2017 gewann er erneute Urwahlen gegen die andalusische PSOE-Chefin und Landesmutter Susana Díaz und damit gegen den mächtigen Parteiapparat.
„Das war alles furchtbar hart, traumatisch. Ich erlebte jede Minute einen neuen Vertrauensbruch. Aber es zeigte mir, wen ich als Freund und wen als Feind ansehen darf“, erinnert sich Sánchez in seiner vor kurzem veröffentlichten Biografie, dem „Handbuch des Widerstands“. Jetzt beherrscht er die Partei wie kaum einer vor ihm. Erfolg macht Freunde; und wer nicht zu ihm übergelaufen ist, wurde ganz im Stillen abgesägt.
Vor Sánchez liegt kein leichter Weg. Die vorgezogenen Neuwahlen am Sonntag wurden notwendig, nachdem die Sozialisten den mit UP ausgehandelten Haushalt nicht durchs Parlament brachten. Die katalanischen Unabhängigkeitsparteien hatten zusammen mit der Rechten dagegen gestimmt. Sie verlangten für eine Unterstützung Verhandlungen über ein Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild.
„Nein ist nein!“ und „Niemals ausserhalb der Verfassung!“ lautet die Antwort, die Sánchez seither ständig wiederholt. Dennoch muss er sich von den drei Rechtsparteien als „Verräter der Verfassung“, als derjenige, „der mit denen verhandelt, die Spanien zerstören wollen“, beschimpfen lassen. PP, Cs und VOX versuchen politisches Kapital aus der Katalonienkrise zu schlagen. Es ist ein regelrechter Wettbewerb darum ausgebrochen, wer der beste spanische Patriot ist. Die harten Töne werden sicher auch nach den Wahlen anhalten, denn Sánchez könnte dann einmal mehr auf die Stimmen der Katalanen und Basken angewiesen sein. Und ohne Dialog um Katalonien wird es keine Lösung für die wohl schwerste Krise der gerade einmal 40 Jahre alten Demokratie geben.
Sánchez braucht vor allem einen großen, zuverlässigen Partner. Damit steht er einmal mehr vor der Wahl zwischen Cs und UP. Bereits 2015 verhandelte Sánchez mit beiden und entschied sich letztendlich zugunsten der Rechtsliberalen. Das Bündnis bekam keine Parlamentsmehrheit. Erneute Wahlen wurden nötig.
In seinem „Handbuch des Widerstands“ gibt Sánchez zu, unter „Druck des IBEX“ – den Unternehmen im spanischen Aktienindex – „den ich durch die Presse zu spüren bekam“ – – gehandelt zu haben. „Es gab eine wirtschaftliche Macht, die darauf setzte, die Linke zu spalten“, schreibt er.
Ob er dieses Mal den Mut hat, mit UP zusammenzugehen, wird sich zeigen müssen. In den beiden Fernsehdebatten wich Sánchez der Frage nach einem Koalitionspartner und wenn ja, welchem, aus. Er hält sich alle Optionen offen, und das obwohl Cs jedwede Zusammenarbeit mit den Sozialisten ablehnt. Die Zusammensetzung der künftigen Regierung wird sicher nicht vor dem 26. Mai entschieden. Dann gehen die Spanier erneut an die Urnen und wählen das Europaparlament, die Kommunalverwaltungen und in den meisten Landesteilen die Regionalregierungen. Keiner wird sich davor wirklich in die Karten schauen lassen.
„Wir haben Geschichte geschrieben, wir haben die Gegenwart mit gestaltet und die Zukunft gehört uns“, versuchte Sánchez das schmerzhaften Ergebnis 2016 zu versüssen und sorgte damit für Unverständnis und Verärgerung in der PSOE. Jetzt hat er die unerwartete Chance, dies wahr zu machen./Foto: PSOE