Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung lieferte ausgerechnet zum Jahrestag des Referendums vom 1. Oktober 2017, die Bilder, auf die viele schon lange warteten. Wütende Demonstranten beschmissen am Samstag in der Innenstadt von Barcelona die Sondereinsatzkommandos der Autonomiepolizei Mossos d‘Esquadra mit Farbbeuteln. Die Beamten schlugen wie wild auf die Demonstranten ein, die aus dem Umfeld der Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), den Gruppen, die vor einem Jahr das Referendum aktiv vorbereitet hatten, stammten. Die Bilanz: 24 Verletzte und sechs Verhaftete.
Die Tausende, meist junge Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens waren gekommen, um einen Aufmarsch von Beamten der spanischen Polizei und Guardia Civil zu verhindern. Offiziell demonstrierten diese für bessere Löhn. Doch eigentlich waren sie aus ganz Spanien angereist, um ihre Kollegen zu ehren, die vor einem Jahr mit brutaler Gewalt gegen die von Madrid verbotene Volksabstimmung für die Loslösung Kataloniens von Spanien vorgegangen waren und dabei knapp Tausend Verletzte hinterließen.
„Die Plätze gehören uns“ lautete das Motto derer, die dies verhindern wollten. Dass ausgerechnet die Polizei der katalanischen Regierung gegen sie vorging, macht sie wütend. Die CDR und linke Unabhängigkeitsgruppen fordern den Rücktritt des katalanischen Innenministers Miquel Buch und des katalanischen Regierungschefs Quim Torra. Alles wartet nun gespannt auf die Großdemonstration, die für den Abend des 1. Oktobers angekündigt ist. Die Politiker aus den Regierungsparteien werden dort wohl nicht nur mit Applaus empfangen werden.
Dabei wäre die Demonstration der Einheit so wichtig wie nie. Denn mit neun Politikern und Aktivisten im Gefängnis sowie sieben im Exil – darunter der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont – ist die Bewegung stark angeschlagen. Allen wird „Rebellion“, „Aufstand“ sowie „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vorgeworfen. Insgesamt stehen darauf bis zu 55 Jahre Haft. Die Hauptverhandlung soll im Januar beginnen.
Juristisch gehen die Betroffenen gemeinsam vor. Doch politisch ist die Unabhängigkeitsbewegung längst gespalten. Die Linie verläuft zwischen Puigdemont und seiner „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) sowie dem inhaftierten, ehemaligen, stellvertretenden Ministerpräsidenten Oriol Junqueras und seiner Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Die beiden Parteien unterstützen die Regierung Torras und streiten sich dennoch um die Vorherrschaft in der Unabhängigkeitsbewegung.
Puigdemont und Torra haben eine neue Bewegung mit dem Namen „Nationalen Aufruf für die Republik“ ins Leben gerufen. 50.000 Menschen haben sich seit Juli eingeschrieben. Die Bewegung sei weder „links noch rechts“, sondern für alle offen, die sich dafür stark machen, dass die am 27. Oktober vergangenen Jahres von Puigdemont ausgerufene katalanische Republik, Realität wird. Der „Aufruf“ will bei den Kommunalwahlen und wohl auch zu den Europawahlen im kommenden Mai antreten und erreichen, dass die einzelnen Parteien auf eine eigene Kandidatur verzichten, so wie dies bei den katalanischen Wahlen 2015 der Fall war.
Doch Junqueras ist dafür nicht zu haben. Er kündigte am Samstag per Brief aus der Haft an, bei den Europawahlen die Liste der ERC höchstpersönlich anführen zu wollen. Ausserdem besteht er auf eigenen Bürgermeisterkandidaturen. „Für mich ist der beste Weg, derjenige, der es erlaubt mehr Wähler für die Unabhängigkeitsbewegung zu gewinnen, indem wir koordiniert im jeweiligen politischen Umfeld arbeiten“, erklärt Junqueras.
Die Umfragen sehen seine ERC in der Wählergunst vor Puigdemonts Option, wie immer sie auch heißen mag. Doch das war auch im vergangene Dezember so und Puigdemont setzte sich letztendlich gegen Junqueras durch, der auch damals auf eine eigene Kandidatur seiner ERC bestanden hatte.