© 2018 Reiner Wandler

„Aufräumen, säubern, dekontaminieren …“

Die Szene wirkt wie ein Bild der alten Meister. Ein Dutzend weiss gekleideter, völlig vermummter Gestalten mit Messern und Sicheln ziehen im spärlichen Licht der Straßenbeleuchtung von der Kirche von Canet de Mar die Allee hinunter. Sie sind in den katalanischen Badeort gekommen, um gelbe Bänder, die von den Befürworten der Unabhängigkeit von Spanien an den Bäumen befestigt wurden, zu entfernen. Gelb steht für die Solidarität mit den Politiker und Aktivisten, die im Laufe des letzten Jahres wegen Rebellion inhaftiert wurden oder, wie der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont im Ausland leben, um eben diesen Schicksal zu entgehen.

„Säubern“ – „aufräumen“- „dekontaminieren“ nennen die Vermummten, was sie da machen. Deshalb haben sie die weißen Anzüge, die Brillen und Atemschutzmasken gewählt, die einst auch diejenigen trugen, die nach einem Tankerunglück Spaniens Nord-West-Küste säuberten. Es ist morgens um halb drei am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag „La Diada“. Sie heißen Natali, Deray, Paco, José Manuel … oder nennen sich zumindest so. „Nachnamen gibt es keine, aus Sicherheitsgründen“, erklärt einer von ihnen, der nicht einmal will, dass ein Radiojournalist seine Stimme aufnimmt. „Danach identifizieren sie mich und verfolgen mich“, fügt er hinzu. „Sie“, das sind die Befürworter der Unabhängigkeit, die „Independendistas“.

Truppen wie diese nennen sich „Säuberngsbrigaden“. Ihr Anliegen: „Der öffentliche Raum muss neutral sein“. Deshalb sammelten sie „den gelben Müll“ ein. „Aus Liebe zu Spanien und der Verfassung“, sagt eine Frau, die sich als Viki vorstellt, angeblich 63 sei und als Wohnungsmaklerin arbeite.

Die Aktion begann drei Stunden zuvor auf einer abgelegenen Tankstelle unweit der Autobahn in Mataró, einer Stadt 30 Kilometer vor den Toren Barcelonas. Keiner kommt direkt aus dem Ort. Sie sind alle bis zu 20 Minuten angereist. Zwei von ihnen teilen die Truppe ein, geben Anweisungen, wer Bändchen und Transparente schneiden darf, und wer den „gelben Müll“ anschließend einsammeln muss.

„Wir kommen aus unterschiedlichsten, politischen Richtungen, uns eint, dass wir die spanische Verfassung verteidigen“, erklärt der Koordinator, der sich als „Paco“ vorstellt, aber von allen „Manel“ gerufen wird. Er selbst komme von den rechtsliberalen Ciudadanos (Bürgerpartei), dann seien da Menschen aus dem Umfeld der konservativen Partido Popular (PP), sowie von Vox und Partit per Catalunya (Partei für Katalonien). Die beiden letzteren stehen soweit rechts aussen, dass selbst der Chef der PP in Katalonien, Xavier Albiol, selbst so etwas wie ein katalanischer Le Pen, Ciudadanos vorwirft sich mit, „Rechtsradikalen gemein zu machen“.

Der Koordinator freilich sieht darin kein Problem. „Wir alle lieben die Verfassung und Spanien“, beendet er die unangenehme Fragerei. „Wir leben hier wie die Juden im Nazideutschland“, fügt er dann hinzu. „Ständig verfolgt.“ Die gelben Bändchen überall seien Zeichen eines autoritären Konzeptes einer „Einheitsgesellschaft“ und ihnen deshalb verhasst.

Es sind die vor über zehn Jahren in Katalonien entstandenen Ciudadanos, die hinter den „Säuberungsbrigaden“ oder „Gruppen für Verteidigung und Widerstand“, wie sie sich auch nennen, stecken. Parteichef Albert Rivera und die katalanische Parteiführerin Inés Arrimadas selbst ließen sich vor wenigen Tagen beim Bändchenschneiden filmen.

Die Aktionen gegen die Farbe gelb nahm zu, als Ciudadanos in den Umfragen unter Druck geriet. Nach dem spektakulären Ergebnis bei den katalanischen Wahlen im vergangenen September bei der die Rechtsliberalen stärkste Kraft wurden, stiegen sie auch im restlichen Spanien unaufhaltsam in der Wählergunst. Parteichef Rivera sah sich bereits als kommender Regierungschef in Madrid. Doch dann kam alles ganz anders. Die gesamte Opposition, mit Ausnahme von Ciudadanos, stürzte Anfang Juni mit einem Misstrauensvotum die konservative Regierung von Mariano Rajoy und wählte den Sozialisten Pedro Sánchez in den Regierungspalast Moncloa – unter ihnen auch die Abgeordneten der Unabhängkeitsparteien Kataloniens. Mit den Säuberungsbrigaden und mit Besuchen in kleinen Orten, in denen die Befürworter der Loslösung von Spanien die überwältigende Mehrheit haben, geriet die Partei Riveras wieder in die Schlagzeilen. In den Umfragen verlieren sie dennoch stetig.

Was wie ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen denen aussieht, die gelbe Bändchen in Solidarität mit den „politischen Gefangenen und Exilierten“ aufhängen und denen, die sie abschneiden, hat sozialen Sprengstoff. Immer wieder kam es den Sommer über zu heftigen Wortgefechten und teils auch zu Handgreiflichkeiten. Das ging soweit, dass im Juli ein PKW über den belebten Platz der Stadt Vich raste und dort mehrere Reihen von gelben Kreuzen ummähte, die ebenfalls den Gefangenen und Exilierten gedachten. „Wir können doch nicht von den gelben Schleifen zu schwarzen Schleifen übergehen“, mahnte selbst der Vorsitzende der PP, Pablo Casado, in Madrid.

Die Nacht der Säuberungstruppe sollte ruhig bleiben. Auch wenn sie bei jedem Passanten, der den geparkten PKWs zu nahe kam, Independendistas befürchteten, die sich „unsere Kennzeichen aufschreibe, um herauszubekommen, wer wir sind“.

Ein Gruppe von Jugendliche, die die frühen Morgenstunden eines arbeitsfreien Feiertages auf einer Parkbank in Canet de Mar genoss, staunte nicht schlecht, als sie die weisse Truppe auftauchte. „Zuerst dachten wir, die würden die Bäume mit Pflanzenschutzmitteln besprühen, dann sahen wir die Kameras und vermuteten Dreharbeiten für ein Musikvideo“, erklärt einer. Erst dann stellten sie fest, dass es um das Abhängen der gelben Schleifen ging. Wirklich verstehen kann das keiner. „Ich würde keine Schleifen aufhängen, aber abhängen würde ich sie auch nicht. Schließlich herrscht doch Meinungsfreiheit“, erklärt einer von ihnen, bevor sie wieder im Gespräch versinken.

Was bisher geschah: