Das Schild am Büro steht für das ganze Dilemma. Die Namen Josep Rull und Jordi Turull sind neben der Tür im ersten Stock des katalanischen Parlamentsgebäudes zu lesen. Beide wurden am 21. Dezember auf der Liste des in Deutschland auf seine Auslieferung nach Spanien wartenden, ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) gewählt. Rull war zuvor unter Puigdemont Minister für Territoriale Frage und Nachhaltigkeit, Turull Minister im Präsidentialamt. Beide sitzen seit Freitag auf Weisung des Oberste Gerichtshofs in Madrid in Untersuchungshaft. Sie, ihr Ex-Chef Puigdemont und zehn weitere werden der „Rebellion“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ bezichtigt. 38 Jahre Haft stehen darauf. Zehn weitere Politiker werden unter anderem des Ungehorsams beschuldigt. Neun Angeklagte sitzen in U-Haft. Ausser Puigdemont werden fünf weitere per internationalem Haftbefehl gesucht.
Eduard Pujol auf der Demonstration am Sonntag, kurz nach der Verhaftung von Carles Puigdemont bei Schleswig,/Foto: ANC
„Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme, spüre ich diese ungeheurere Leere“, sagt Eduard Pujol, JxCat-Fraktionssprecher. „Die Situation ist schrecklich. Wir müssen erst einmal richtig analysieren und begreifen, was diese Welle von Repression bedeutet“, sagt der hochaufgewachsene Endvierziger. „Aber sie können damit nicht vergessen machen, was über 2 Millionen Menschen erlebt haben.“
Er meint damit das Referendum am 1. Oktober zu dem trotz brutalen Polizeieinsätzen über 2 Millionen kamen. Fast alle stimmten für die Loslösung von Spanien. Dreieinhalb Wochen später erklärte das katalanische Parlament die Unabhängigkeit. Die konservative Regierung in Madrid setzte mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 Puigdemont und sein Kabinett ab, stellte Katalonien unter Zwangsverwaltung und rief Neuwahlen aus. Die separatistischen Parteien erhielten erneut die Parlamentsmehrheit.
Pujol ist seither im Parlament. „Bis zum 12. November war ich Journalist, Direktor des meist gehörten Radios hier in Katalonien RAC1“, berichtet er. Dann habe er einen Anruf von Puigdemont bekommen. Dieser war nach mittlerweile nach Brüssel geflüchtet und stellte von dort persönlich die Liste JxCat für die von Madrid angesetzten Neuwahlen zusammen. „Die Liste eines Landes“ mit vielen Unabhängigen sollte es werden. Pujol sagt sofort zu. „Ich bin Katalane“ und „Katalonien ist eine politische Realität und eine Nation“, es gehe darum dies zu verteidigen, erklärt Pujol, warum. „Ich hatte wieder die breite Avenida Diagonal vor Augen, wie sie am 1. Oktober voller Polizeifahrzeuge war. Wie einst Warschau beim Militärputsch“, sagt er.
„Unsere Führer sind eingesperrt, aber sie sind dadurch stärker denn je zuvor. Das Ende der Unabhängigkeitsbewegung ist das ganz sicher nicht“, weisst Pujol die Spekulationen der Presse in Madrid weit von sich, die Bewegung sei nach den Verhaftungen vom Freitag und jeder Festnahme von Puigdemont am Sonntag führer-, strategie- und zukunftslos. „Sie haben uns sicher schon 100 Mal totgesagt und vergessen dabei eines. Was hier passiert ist kein Marketing von Parteien. Unsere Bewegung ist sehr breit in der Bevölkerung verankert“. Egal ob Sport- oder Kulturveranstaltungen die Solidarität mit den Gefangenen und Exilierten sei immer präsent.
Barcelona ist dieser Tage auf den ersten Blick eine normale Stadt. Es sind Osterferien. Viele Einheimische sind weg, Touristen aus aller Welt da. Dennoch tut sich einiges seit der Verhaftung Puigdemonts. Nicht nur in der Stadt werden immer wieder Straßen blockiert. Am Freitag besetzten Demonstranten die wichtigsten Autobahnen Kataloniens und den größten Grenzübergang nach Frankreich. „Katalanischer Frühling haben das die Basisgruppen, Komitees zur Verteidigung der Republik, getauft, die den Widerstand organisieren. Überall an den Balkonen hängen katalanischen Fahnen und Spruchbänder, die „Freiheit für die politischen Gefangenen“ fordern. Viele Passanten tragen gelben Schleifen am Reverse. Das Symbol der Solidarität mit den Inhaftierten.
Auch Xavier Ferre hat sie sich angesteckt. Er besucht zusammen mit seiner Frau Montse Besora den Mercat del Born, nur wenige Meter vom Parlament entfernt. Die Markthalle, oder vielmehr das was unter dem Boden des Gebäudes gefunden wurde, gilt vielen Katalanen als eine Art Nationaldenkmal. Es sind Reste der 1714 beim Erbfolgekrieg zerstörten Altstadt. Seither gehört Katalonien zur spanischen Krone.
Der 51-jährige Ingenieur und die 46-jährige Lehrerin stammen aus einem kleinen Ort in der Provinz Tarragona und sind zum Osterurlaub hier. „Mit den Verhaftungen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem es kein zurück mehr gibt“, sagt Ferre. Einen Dialog mit Madrid könne es nur noch geben, um in Richtung Unabhängigkeit zu gehen. „Das wird sicher ein langer Prozess, aber die aktuelle Situation ist einfach nicht mehr tragbar“, sagt Besora. „Dass Puigdemont ausgerechnet in Deutschland festgenommen wurde, ist vielleicht gar nicht so schlecht“ fügt sie dann hinzu. Denn eine Debatte über die Auslieferung im wichtigsten Land der Europäischen Union (EU) habe ein anderes Gewicht als etwa in Belgien. „Und die einzige Chance, dass wir weiterkommen ist die Internationalisierung des Konflikte. Ohne das hat kaum ein Land seine Unabhängigkeit erreicht“, gibt sie zu bedenken. Beide setzten auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz. Die Anklage wegen „Rebellion“ sei eine rein politische Anklage, „denn Gewalt hat es hier nicht gegeben“, begründet Besora, warum.
Wer Gegner der Unabhängigkeit Kataloniens befragen will, hat es nicht leicht. „Wir reden zu dem Thema nicht“, sagt ein älteres Ehepaar auf einer Bank im Park vor dem Parlament. „Wir sind Kastilier“, fügen sie dann hinzu. Sicher, sie seien fast das ganze Leben hier hier in Barcelona „aber zu dem etwas passiert haben wir keine Meinung“.
Endlich redet dann doch einer. „Die sitzen zu recht im Gefängnis“, sagt Luis Vazquez. Der 75-jährige Rentner ist Ende der 1960er Jahre aus Galicien nach Katalonien gekommen, wo er in der Kfz-Zulieferindustrie Arbeit fand. „Was die gemacht haben, hat keinen Namen“, sagt er. Die Wirtschaft würde unter der politischen Krise leiden. Er spricht von Chaos, vom Fehlen einer Regierung. Bisher habe er immer die Sozialisten gewählt. Doch die seien nicht entschieden genug gegen die Unabhängigkeitsbewegung vorgegangen. „Jetzt wähle ich Ciudadanos“, erklärt Vázquez. Die Rechtsliberalen, die am meisten für einen starken Zentralstaat werben, wurden bei letzten Mal stärkste Partei in Katalonien, auch wenn die drei Unabhängigkeitsparteien zusammen die absolute Mehrheit im Parlament haben. „Würde es nach mir gehen, würde ich diese Anstifter wie früher Steine klopfen oder Straßen bauen lassen“, beendet er seine Sicht der Dinge.
„Wir waren in den letzten Tagen völlig mit den juristischen Problemen beschäftigt“, sagt drinnen im Parlament Fraktionssprecher Pujol. Jetzt müsse es wieder darum gehen, einen weg zu finden, doch noch eine Regierung zu bilden. Sollte dies bis zum 22. Mai nicht gelingen, kommt es erneut zu Wahlen und das wolle er schon aus Verantwortungsbewusstsein nicht. Wer denn nun in das Amt des Regierungschefs gewählt werden soll, „das müssen wir in den nächsten Tagen entscheiden.“ Puigdemont zog zurück, nachdem ihn der Oberste Gerichtshof mit sofortiger Verhaftung im Falle einer Einreise drohte. Der ehemalige Vorsitzende der Organisation Katalanische Nationalversammlung (ANC), Jordí Sànchez, bekam keinen Hafturlaub, und der enge Vertraute Puigdemonts Jordi Turull am Freitag, ein Tag vor der entscheidenden Parlamentssitzung, in U-Haft geschickt. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen rügte Spanien wegen dem Umgang mit der Kandidatur von Sànchez und hat am Dienstag die Klage von Puigdemont angenommen.
„Ich glaube Madrid hat ein Problem damit, dass wir uns selbst regieren. Und manchmal denke ich, sie haben ganz generell ein Problem mit der Existenz Kataloniens“, sagt Pujol und verabschiedet sich. Die Fraktion trifft sich. Es geht darum, die Parlamentssitzung vom heutigen Mittwoch vorzubereiten. Dort soll es um die politischen Gefangen gehen und voraussichtlich auch darum, ob sie Puigdemont trotz Polizeigewahrsam in Deutschland doch noch zum in sein einstiges Amt als „President de la Generalitat“ – Chef der katalanischen Regierung – wählen.