Carles Puigdemont will erneut Chef der katalanischen Autonomieregierung „Generalitat“ werden. Doch das ganze hat einen Haken. Der 55-jährige Verfechter der Unabhängigkeit der nordostspanischen Region Katalonien hält sich seit Ende Oktober in Brüssel auf. Sobald er spanisches Staatsgebiet betritt, droht ihm Untersuchungshaft. Denn gegen ihn wird ebenso wie gegen all seine ehemaligen Minister und gegen die Mitglieder des Präsidiums des alten katalanischen Autonomieparlaments wegen „Rebellion“, „Aufstand“ sowie „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ ermittelt. Insgesamt stehen darauf 55 Jahre Haft. Puigdemonts Vize, Oriol Junqueras, ein Minister sowie zwei Aktivisten sitzen seit über zwei Monaten wegen der selben Vorwürfe in U-Haft. Vier weitere Minister sind wie Puigdemont in Brüssel.
Die Strafverfolgung durch das Oberste Gericht Spaniens wurde aufgenommen, nachdem die katalanische Regierung am vergangenen 1. Oktober trotz Verbot aus Madrid ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt hatte und Ende des Monats schließlich die Loslösung von Spanien erklärte. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hatte daraufhin mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 die katalanische Regierung des Amtes enthoben und Neuwahlen angesetzt. Am 21. Dezember gewannen die Vertreter der Unabhängigkeit diese erneut. Puigdemont‘s Liste „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT) wurde im Unabhängigkeitslager entgegen aller Umfragen stärkste Kraft.
Das frischgewählte Parlament wird am kommenden Mittwoch erstmals zusammentreten. Die Flüchtigen und Häftlinge haben sich bereits akkreditiert. Dazu ist ein persönliches Erscheinen nicht notwendig.
Puigdemont‘s JxCAT, Junqueras‘ Republikanische Linke (ERC), die zusammen mit der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) erneut die Mehrheit im Parlament inne haben, suchen nach einer Lösung, wie sie trotz Haft und Exil die Abstimmungen durchführen und gewinnen können.
Am liebsten wäre Puigdemont zurückgekommen. Nach Angaben aus den Reihen von JxCAT versuchte mit der Regierung in Madrid auszuhandeln, dass er nicht verhaftet wird. Die Regierung Rajoy wollte darauf nicht eingehen. Puigdemont setzt deshalb jetzt auf zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte er per Videokonferenz sein Regierungsprogramm vorstellen oder einen anderen Parteikollegen damit beauftragen. Ob dieses Vorgehen rechtlich überhaupt zulässig ist, darüber scheiden sich die Geister. In der Geschäftsordnung des katalanischen Parlaments steht dazu nichts. Als sie geschrieben wurde, kam niemand auf die Idee, dass dies einmal wichtig sein könnte.
Doch wenn die Verfechter der Unabhängigkeit überhaupt eine Chance haben wollen, zu solch ungewöhnlichen Verfahrensweisen zu greifen, müssen sie erst einmal das Präsidium des Parlament mehrheitlich besetzen. Selbst diese Abstimmung wird nicht leicht. Denn zusammen mit Puigdemont sind sieben weitere der neuen Parlamentarier in Haft oder in Belgien. Die Verfechter der Unabhängigkeit verfügen nur über eine dünne Mehrheit. Der Block der sogenannten „Unionisten“ – der bedingungslosen Verfechter der Einheit Spaniens haben zusammen 57 Abgeordnete. Diesem Block gehören die stärkste Fraktion im neuen Autonomieparlament Cuidadanos (C‘s), die Sozialisten (PSC) und die die in Madrid regierende Partido Popular (PP) an.
Acht Abwesende können sie sich Puigdemont und seine Unterstützer nur leisten, wenn sich das Bündnis En Comú (Gemeinsam), Partei der Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau, und Podemos enthalten. Danach sieht es bisher aus. Deren Spitzenkandidat Xavier Domènech will auf keinen Fall einen der beiden Blöcke aktiv unterstützen.
Die Juristen des Parlaments werden noch diese Woche über die ungewöhnliche Situation beraten. Die Parlamentsfraktion von JxCAT wird am Freitag erstmals zusammentreten. Und zwar in Brüssel, damit Puigdemont teilnehmen kann.