Deutlicher konnte Francisco Martínez Lopez nicht mehr fragen, aber lauter schon. „Ich bitte meine Partei – die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) – die widerwärtigen Methoden einzugestehen, die sie in den Jahren der antifrankistischen Guerilla angewandt hat, und diejenigen, die darunter litten, vor allem diejenigen, die auf Befehl der Führung hingerichtet wurden, zu rehabilitieren“, erklärt der 91-jährigen Mann aus der Bergbauregion El Bierzo, im spanischen Nordwesten. Martínez López – oder „Quico“ – wie er in den Jahren im bewaffneten Untergrund von 1947 bis 1952 hieß, wird mit diesem Anliegen seit er 1952 Spanien in Richtung französischem Exil verließ, immer wieder beim Zentralkomitee der PCE vorstellig. Doch die Parteiführung schweigt. Jetzt hat „Quico“ einen „Offenen Brief eines Kommunisten an die Führung seiner Partei“ verfasst und erreichte damit erstmals eine breitere Öffentlichkeit.
„Ich fühle mich moralisch und politisch im Recht, zu fragen“, heisst es in seinem Schreiben mit dem Titel „Jene Vergangenheit, die nicht vergessen werden darf“. Es geht ihm um die Kameraden im Untergrund, die als „Provokateure“ und „Abweichler“ von der PCE-Exil-Führung unter Santiago Carrillo und der legendären Dolores Ibárruri Gómez – La Pasionaria – zum Tode verurteilt und von Killerkommandos erschossen wurden. Carrillo und die Seinen waren aus dem Moskauer Exil nach Paris gekommen und verdrängten die Führung, die nach dem verlorenen Bürgerkrieg von den Parteimitgliedern errichtet worden war, die zu Tausenden in Frankreich Zuflucht gesucht hatten. Auch dabei wurden sogenannte „Verräter“ gewaltsam aus dem Weg geräumt.
„Quico“ gehörte zu denen, die im Land geblieben waren. Er wuchs in einer Region auf, die gleich nach dem Staatsstreich gegen die Spanische Republik 1936 in die Hände der Faschisten Militärs unter dem General und späteren Diktator Francisco Franco fiel. Politisch Verfolgte gingen in den Untergrund, bewffneten sich. Quico arbeitete bereits in frühen Jugendjahren der Guerilla zu, machte Propaganda, spionierte Anschlagsziele aus, seine Eltern versteckten Kämpfer zu Hause. Als er 1947 aufflog, schloss er sich den kämpfenden Gruppen an.
Um die 100 Bewaffnete bewegten sich in der Region El Bierzo – die Federación de Guerrillas León Galicia entstand. Es war die erste gut strukturierte antifrankistische Guerrilla in Spanien. Bald schon sollte überall im Land andere Gruppen entstehen. Der Historiker Secundino Serrano schätzt die Zahl der Kämpfer auf insgesamt 5.000 bis 6.000, die auf eine Netz von 20.000 bis 40.000 sogenannten „Enlaces“ – Kontaktleute – setzten konnte. 3.000 Kämpfer kamen ums Leben, 2.500 wurden verhaftet. 500 gelang Anfang der 1950er Jahre, als der Kampf immer aussichtsloser wurde, die Flucht ins Ausland, meist nach Frankreich.
„Es war Volkswiderstand“, erinnert sich „Quico“. „In unseren Gruppen gab es Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten.“ Die Kämpfer konnten auf breite Unterstützung bauen, schliefen in Häusern bei Familien, die sie versteckten und ernährten. Die Guerilla hatte Kontakte zu Bürgermeistern, Mitgliedern der faschistischen Gewerkschaft und selbst zu Soldaten und Polizisten. Sie griffen Polizeistationen an, erschossen führende Faschisten in der Region, sabotierten im Zweiten Weltkrieg die Wolframminen, die das Edelmetall zur Stahlveredelung nach Deutschland an die Waffenindustrie lieferten.
„Vor allem zeigten wir Präsenz und machten damit der Bevölkerung Mut. Die Botschaft: Der Krieg ist nicht vorbei“, sagt „Quico“. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte die PCE mit Kämpfern, die in der Resistance in Frankreich gedient hatten, eine Invasion in den Pyrenäen, um den Blick der Weltöffentlichkeit erneut auf Spanien zu lenken, wo die Faschisten 1939 den Bürgerkrieg gewonnen und ihre Diktatur errichtet hatten. Die Hoffnung war, dass die Alliierten nach der Befreiung Frankreichs nicht Halt machen und auch Spanien befreien würden.
4000 Kämpfer überschreiten im Oktober 1944 die Grenze von Frankreich nach Spanien und scheitern. Die PCE setzt auf eine neue Taktik. Sie baut in mehreren Regionen Guerillastrukturen auf und schickt ihre Führer dorthin, wo es bereits funktionierende, bewaffnete Untergrundgruppen gab. So auch in die Region El Bierzo.
„Sie hatten ein ganz andere Idee von Spanien, als das was sie vorfanden. Sie waren geprägt von den Jahren der Resistance in Frankreich. Aber das hier war keine Besatzung“, berichtet Martínez López. Schnell kam es zu Meinungsverschiedenheiten. „Unsere Strukturen waren auf die der Einheit verschiedener politischer Ideen gebaut. Das war nicht mit der Bevormundung durch eine Einheitspartei vereinbar. Doch die PCE wollte uns ihr Modell aufzuzwingen“, beschwert sich „Quico“. Wo die aus dem Exil gekommenen konnten, führten sie militärische Ränge ein, Uniformierten die Kämpfer. Die Gruppen verloren ihre Autonomie. Die Aktionen wurden mit der Parteiführung in Paris und teilweise gar mit Moskau abgesprochen.
Die Weigerung sich den neuen Führern zu unterwerfen, galt der Partei als Verrat. „Du warst ein Provokateur und Provokateure wurden zum Tode verurteilt. Es ging darum eine absolute Disziplin gegenüber dem Apparat der Partei zu erreichen.“ Drei der Kameraden Quicos wurden von den aus dem Exil Gekommenen erschossen. Quico kann das belegen. Die Beweise dafür fand er im Parteiarchiv. „Wir haben diesen Hund niedergestreckt!“ meldete einer der Mörder 1948 stolz ans Zentralkomitee. Wie viele in ganz Spanien Mord und Verrat zum Opfer fielen, ist bis heute nicht klar. Einige Listen im Internet führen bis zu 200 Namen auf.
„Es ging den Menschen nicht um Kommunismus oder Sozialmus“, erklärt Quico, warum sie sich den Führern aus dem Exil und ihrer Strategie widersetzten. Die Republik, der Bürgerkrieg und Franco-Diktatur ein blutiges Ende bereitete, hatte breite Bevölkerungsschichten mobilisiert. Die Frauen erreichten das Wahlrecht, die Arbeiter den Acht-Stunden-Tag, das Bildungswesen wurde ausgebaut, Ländereien umverteilt. „Es war eine Republik der Reformen, die die Menschen im Widerstand verteidigten. Das führte zur Kultur des Volkswiderstandes. Das militärische Auftreten der Kommunisten, die Einheitsideologie, hatte damit nichts zu tun. Die Menschen lehnten dies ab“, erklärt Quico. „Wir von der Guerilla waren keine Avantgarde. Wir waren Freunde und Genossen auf der gleichen Stufe, denen die Menschen ihre Häuser öffneten. Das militärische Auftreten wurde als Geringschätzung empfunden.“
Der Konflikt war unausweichlich. „Zu den Hinrichtungen kommen die Opfer eines anderen Vorgehens, das nur schwer zu beweisen ist“, fährt Quico fort. „Ganze Gruppen wurden an die Polizei verraten. Wir haben den Verdacht, dass sechs Genossen unserer Führung auf diese Art und Weise starben“, sagt der alte Kämpfer. Aus den Nachbarregionen erreichten die Gruppen im Bierzo Nachrichten von ähnlichen Vorfällen. In der Provinz von A Coruña wurden mindestens 14 Guerilleros hingerichtet; in Asturien einer der Führer anonym angezeigt. Er fiel der Polizei in die Hände und überlebte dies nicht.
Die Auseinandersetzungen, die Repression, der kalte Krieg, der es Franco erlaubte sich in den Westen einzureihen – all das beendete die Hoffnung der Guerilla. Wer überlebte, versuchte das Land zu verlassen.
Jahrelang hatte Martínez López, der selbst Ende 1951 zusammen mit drei weiteren Kameraden nach Frankreich flüchtete, den Gang an die Öffentlichkeit gescheut. „Du kannst das nicht zu jedem Moment öffentlich machen, es könnte negative Auswirkungen auf die Partei haben“, beweißt er, trotz allem was geschehen ist, Disziplin. Jetzt im hohen Alter will und kann er nicht länger warten. „Sind Carrillo oder die heutige Parteiführung etwa mehr Kommunisten als ich?“ fragt er. „Sie haben die Hoffnung der Menschen frustriert. Eine Partei, die nach so etwas nicht zur Selbstkritik fähig ist, ist, lähmt sich selbst“, mahnt Quico.
64 Jahre sind vergangen, seit der Quico in Paris ankam und erstmals Erklärung verlangte. „64 Jahre des Kampfes und der Hoffnung“, heisst es im offenen Brief, der 91-jährigen der sich heute gerne als „Guerillero des Gedenkens“ bezeichnet. Die Kommunistische Partei Spaniens schweigt weiterhin.