Madrilene? Umweltbewusst und Freund der Berge? Dann beginnt der Ausflug in die Sierra de Guadarrama mit ihren 2430 Metern Höhe auf dem Bahnhof in Atocha oder an jedem anderen Halt des weitverzweigten Netzes von Nahverkehrszügen, den Cercanías. Zuerst geht es nach Cercedilla, einem Dorf am Fuss des Gebirges, etwas mehr als eine Zugstunde vor der spanischen Hauptstadt. Dort wartet die Linie C9. „Tranvía“ – Straßenbahn – nennen die Dorfbewohner die Schmalspurbahn aus dem Jahre 1925, die 19 Kilometer durchs Gebirge zuckelt und die Ausflügler schließlich auf 1830 Meter Höhe absetzt.
Es mischen sich Wanderer mit Rucksäcken, Kletterer mit ihrer Ausrüstung und Familien mit Picknickkorb im Sommer, Pilzesucher im Herbst, Bergsteiger mit Pickel und Steigeisen, Tourengeher mit ihren Skiern sowie Jugendliche, die mit ihrem Snowboard eine der beiden Skigebiete hier oben aufsuchen. Im Winter ist der Zug oft so gefragt, dass wer hochfährt, angeben muss, mit welchem Zug er zurück will. Das besondere an der Linie C9 ist die Umweltkarte. Egal von wo in der Region Madrid kostet die Reise einheitliche 8 Euro 70. Es lohnt sich also nicht zuerst einmal mit dem Auto zu fahren, um dann in das Gebirgsbähnchen umzusteigen.
Nicht nur in der Freizeit auch auf dem Weg zur Arbeit benutzen viele Madrilenen den öffentlichen Nahverkehr. Zu den 370 Kilometer Zug in der Region kommen Stadtbusse, knapp 300 Kilometer Metro (U-Bahn) sowie Überlandbusse in alle Dörfer ringsherum, bis weit hinein in die Nachbarprovinzen Avila, Guadalajara, Toledo oder Segovia. Kaum irgendwo in Europa ist das Netz so gut ausgebaut und fährt es sich so preisgünstig wie hier. Ein Einzelfahrschein für Bus und Metro in Madrid kostet gerade einmal 1 Euro 50, die Zehnerkarte 12 Euro 20.
Dennoch hat Madrid ein Verkehrsproblem. Wer vom Ausflug aus den Bergen zurückkommt, kann es sehen. Boina – die Baskenmütze – nennen die Madrilenen die sulfurgelbe Dunstglocke, die sich oft wochenlang über der Stadt hält und von weither sichtbar ist. Stickstoffoxide des PKW- und LKW-Verkehrs sind der Hauptgrund dafür. Ab 2025 soll damit Schluss sein. Madrids neue Bürgermeisterin, Manuale Carmena, von der Bürgerliste Ahora Madrid (Jetzt Madrid) rund um die junge Partei Podemos will bis dahin die Stadt dieselfrei machen. So ihr Versprechen auf einem Klimagipfel mehrerer Großstädte Anfang Dezember.
Madrid hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Längst vorbei sind die Zeiten, als der Hauptstädter mit dem Auto überall hinkam. Ein Großteil der innerstädtischen Bezirke sind nur noch für die Bewohner im PKW zugänglich. Die wenigen Stadtteile, in denen das noch nicht so ist, werden in den kommenden Monaten ebenfalls mit Kameras versehen, die unerbittlich jeden mit einem hohem Bussgeld belegen, der sich über das Verbot hinwegsetzt.
Gleichzeitig soll der öffentliche Nahverkehr attraktiver werden. Seit vergangenen Sommer dürfen jetzt auch Hunde in die U-Bahn. Und ausserhalb der Hauptverkehrszeiten können neuerdings auch Fahrräder mitgenommen werden. Das ganze hat nur einen Hacken. Es fehlt an einem ordentlichen Netz von Radwegen.
Mit einem tut sich Madrid noch immer schwer – mit Fussgängerzonen. Egal wo eine Straße für den Verkehr völlig geschlossen wird, kommt es zu Protesten der Geschäftsinhaber. Sie fürchten um ihre Kunden. Und das obwohl alle Erfahrungen zeigen, dass Geschäfte in Fussgängerzonen beliebter sind als die ausserhalb.
Dieser Tage debattiert Madrid erneut über die Einschränkung des Verkehrs. Bürgermeisterin Carmena traute sich erstmals mehrere Hauptverkehrsadern in der Vorweihnachtszeit teilweise oder ganz für den Verkehr zu schließen; darunter die Madrider Prunkstraße Gran Vía.
Die ehemalige konservative Bürgermeisterin und jetzige Oppositionsführerin im Stadtrat Esperanza Aguirre ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, um gegen die ihr verhasste Stadtregierung zu wettern: „Carmena will Weihnachten zerstören“, beschwerte sie sich vor laufenden Kameras auf der Gran Vía, gegen die Schließung mehrerer Fahrspuren. Der Spott der Kommentatoren und in den sozialen Netzwerke war ihr sicher.
Denn allen in Madrid erinnern sich nur zu gut, wie Aguirre vor zwei Jahren auf der Busspur in der Gran Vía parkte, um Geld aus einem Automaten zu ziehen. Als die Polizei sie ansprach, stieg sie in den Wagen und beging Fahrerflucht. Dabei fuhr sie ein Polizeimotorrad über den Haufen und erwischte fast den Beamten. Die anschließende Verfolgungsjagd endete vor der heimischen Garage, in die sich Aguirre flüchtete. Sie weigerte sich Rede und Antwort zu stehen und schickte ihre Leibwächter mit den Fahrzeugpapieren und dem Führerschein.
Vor wenigen Tagen wiederholte sich diese Szene, wieder auf der Gran Vía. Die Vizepräsidentin der konservativen spanischen Regierung, Soraya Sáenz de Santamaría, parkte ebenfalls auf der Busspur, um in einem Billigklamottenladen einzukaufen. „Entgegen dem, was die Leute im allgemeinen denken, sind die Gehälter der Politiker so niedrig, dass wir nur in ‚Low-Cost-Läden‘ gehen können“, verteidigte ausgerechnet Aguirre ihre Parteikollegin.