Die Kampagne für die Unabhängigkeit Kataloniens geht in die Endrunde. Am heutigen Nationalfeiertag „Diada“ in der nord-ost-spanischen Region werden Hunderttausende Menschen einem Aufruf der Unabhängigkeitsbewegung Katalanischen Nationalversammlung (ANC) folgen und in Barcelona für eine Volksabstimmung über die Zukunft der wirtschaftstarken Autonomie auf die Straße gehen. Nur eine Woche vor dem Referendum in Schottland werden sie auf 11 Kilometer und 200.000 Quadratmetern auf den beiden größten Boulevards der Mittelmeermetropole in gelben und roten T-Shirts – den Nationalfarben Kataloniens – ein V bilden. Das steht, so die Veranstalter für „vía“ – „Weg“, „voluntad“ – „Wille“, „votar“ – „wählen“ sowie „victoria“ – „Sieg“.
Dort wo sich die beiden Boulevards treffen werden 947 Urne aufgestellt – eine pro katalanischer Gemeinde. Die Autonomieregierung in Barcelona hat bereits einen Abstimmungstermin festgelegt. Am 9. November sollen die Katalanen über die Zukunft ihres Landes entscheiden. Die konservative Regierung in Madrid unter Mariano Rajoy will dies um jeden Preis verhindern.
„Es ist die Stunde“ verkünden die Veranstalter dennoch. Mehr als eine halbe Million Menschen haben sich online für die Demonstration angemeldet. Aus ganz Katalonien fahren Sonderzüge und Hunderte von Bussen. Die Verantwortlichen der ANC hoffen auf mehr als eine Million Teilnehmer.
Ihr Zeitplan: Abstimmung am 9. November. Sollte diese für die Unabhängigkeit ausgehen soll am 23. April kommenden Jahres – dem Tag des katalanischen Schutzpatrons San Jordi – die Unabhängigkeit erklärt werden. Am Nationalfeiertag 2015 dann, soll die Verfassung der neuen „Republik Katalonien“ ebenfalls per Volksabstimmung verabschiedet werden.
Doch erst einmal muss die Abstimmung über die Unabhängigkeit abgehalten werden. Die Autonomieregierung unter dem Nationalisten Artur Mas will dazu am Tag nach der Volksabstimmung in Schottland im katalanischen Parlament ein entsprechendes Wahlgesetz verabschieden lassen. 105 der 135 katalanischen Angeordneten werden aller Voraussicht nach dafür stimmen. Mit dem Gesetz in der Hand wird Mas dann den Urnengang für den 9. November einberufen. Madrid hat bereits angekündigt gegen Gesetz und Wahlaufruf vor das spanische Verfassungsgericht zu ziehen. Dort dürfte Mas dann ausgebremst werden.
Die Katalanen hoffen auf einen Rückhalt aus Schottland. Ein Ja für die schottische Unabhängigkeit von Großbritannien bei der Abstimmung am 18. September wäre so Mas „ein Trampolin“ für die katalanische Sache. „Die Verhandlungen über einen Verbleib Schottlands in der Europäischen Union würden ganz schnell beginnen. Das wäre sehr wichtig für Katalonien“, erklärte er in einem Interview gegenüber der Financial Times.
Doch wie das Szenario nach einem absehbaren Verbot des katalanischen Referendums durch das Verfassungsgericht aussehen könnte, darüber herrscht Uneinigkeit unter den verschiedenen Strömungen des katalanischen Nationalismus. Die ANC sowie die beiden linksnationalistischen Parteien ERC und CUP reden von „zivilem Ungehorsam“ und davon, die Urnen dennoch aufzustellen. Mas will davon nichts wissen. „Das ganze muss in einer bestimmten Art und Weisse durchgeführt werden“, warnt er vor einer ungesetzlichen Abstimmung. „Was würde es bringen, wenn Katalonien eines Tages ein unabhängiger Staat ist, wenn niemanden diesen Staat anerkennt?“ fragt er. Seine Idee im Falle eines Verbotes des Referendums am 9. November: Bei den nächsten Wahlen zum katalanischen Parlament sollen alle nationalistischen Parteien mit einem einzigen Programmpunkt antreten, dem der Unabhängigkeit. Aus der Wahl würde damit eine Art Plebiszit.
Doch Mas hat ein Problem. In seiner Partei CDC werden immer mehr Stimmen laut, die eine Abstimmung am 9. November um jeden Preis wollen. Und er verfügt über keine eigene Parlamentsmehrheit und ist damit auf weitere Unterstützung seiner Regierung durch die linke ERC angewiesen. Der Preis dafür war ausdrücklich die Durchführung der Volksabstimmung.
Sollten in Katalonien am 9. November trotz Verfassungsgericht die Urnen aufgestellt werden, stände die Regierung in Madrid vor einem großen Problem. Denn dann gäbe es nur noch eine Möglichkeit das Referendum zu verhindern, die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung. Dieser sieht vor „im Gesamtinteresse Spaniens“ die Autonomie einer Region ausser Kraft zu setzen. Dies wäre der endgültige Bruch zwischen Madrid und Barcelona. Rajoy bekräftigte vor wenigen Tagen „alle Mittel vorbereitet“ zu haben.