© 2013 Reiner Wandler

Krise macht krank

Es geht ans Eingemachte: Seit zwei Monaten erhalten die Kliniken und Gesundheitsposten in Madrid keine Impfstoffe gegen Tetanus, Hepatitis A und B mehr. Mit „Verwaltungsprobleme“ versuchte sich die Gesundheitsbehörde der Region Madrid herauszureden, als die meist gehörte spanische Radiostation Cadena Ser dies vor zwei Tagen öffentlich machte. Die Ärzte in den Kliniken wollen dies nicht so recht glauben. Sie befürchten eine weitere Sparmaßnahme im Gesundheitssystem, die still und heimlich durchgeführt wird. Zehn Prozent hat die konservative Regierung von Mariano Rajoy bei den Gesundheitsausgaben gestrichen. Spanien rutscht dabei noch weiter ins untere Drittel im Europavergleich.
Einen Großteil der Einsparungen müssen die 8,5 Millionen Rentner tragen. Sie zahlen seit Sommer erstmals bei Medikamenten bis zu zehn Prozent, bei einer Obergrenze von 18 Euro pro Medikament, zu. „Das straft diejenigen, die wenig Geld haben und zudem am meisten unter Gesundheitsproblemen leiden“, analysiert die spanische Vereinigung zum Schutz des Öffentlichen Gesundheitssystems (FADSP). 8,5 Prozent der spanischen Rentner leben von 300 Euro im Monat und 54 Prozent von weniges als 650 Euro. „Sie müssen wählen, ob sie Medikamente bezahlen, oder Lebensmittel kaufen“, beschwert sich ein Sprecher der FADSP.
Auch Einwanderer ohne Papiere sind von den Kürzungen besonders hart betroffen. Sie hatten seit dem Jahr 2000 das Recht auf kostenlose Gesundheitsversorgung. Das wurde den rund 500.000 Einwanderern jetzt genommen. Nur bei Schwangerschaft, bei Notfällen oder bei chronisch Krankheiten werden Ausnahmen gemacht. Wer unter diese Regelung fällt, entscheiden die regionalen Gesundheitsbehörden. Ärztevereinigungen befürchten – mit Blick auf Griechenland, wo die Malaria zurück ist – auch für Spanien mit einer Zunahme ansteckender Krankheiten. Armut und schlechte Gesundheitsversorgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe sind der ideale Nährboden für die Ausbreitung von Krankheiten wie der Tuberkulose, die in Spanien nie ganz besiegt worden ist.
Die Krise hat ganz direkte Auswirkungen auf die Gesundheit breiter Teile der Bevölkerung. 6 Millionen Spanier (26 Prozent) sind arbeitslos. 1,8 Millionen Haushalte völlig ohne Arbeit. 2,2 Millionen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Folge sind oft schlechte Ernährung und schweres Übergewicht.
Außerdem ist der Konsum von Antidepressivum um mehr als 30 Prozent gestiegen, der von Beruhigungs- und Schlafmittel um 12 Prozent. Der Stress und die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, nimmt zu. Viele Arbeitslose werden mit ihrer Situation nicht fertig. Ganz besonders von psychischen Problemen betroffen sind die Opfer der 400.000 Zwangsräumungen. Der Verlust der Wohnung sei mit dem Schock nach einem schweren Verkehrsunfall zu vergleichen, heißt es in einer Studie der Wirtschaftshochschule ESADE. Psychologische Behandlung sei deshalb dringend angeraten.
Doch genau daran mangelte es in Spanien auch schon vor der Krise. 4,3 Psychologen müssen 100.000 Einwohner versorgen. Im Europaschnitt sind es 18.
Die Regierung Rajoy hat zwei weitere Maßnahmen in Vorbereitung. Der Impfkalender für Kinder soll abgespeckt und Regionen, die das Defizitziel nicht einhalten, die Subventionen für Ausbildung von Fachpersonal für Organtransplantationen entzogen werden. Spanien ist bisher in Sachen Organspende weltweit führend.

Was bisher geschah: