© 2013 Reiner Wandler

#esfalso "Alles falsch!"

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy hat erstmals Stellung zu den schweren Vorwürfen genommen, er und die gesamte Führung seiner konservativen Volkspartei (PP) hätten jahrelang Zuwendungen in Form von Schwarzgeld erhalten: „Ich brauche nicht mehr als zwei Worte: Alles falsch!“ erklärte er am Samstag Nachmittag vor einer eiligst einberufenen Vorstandssitzung.

„Niemals, ich wiederhole niemals habe ich Schwarzgeld bezogen oder verteilt, weder in dieser Partei noch sonstwo“, beteuerte Rajoy mit fester Stimme aber besorgtem Gesicht und blieb den Spaniern eine einleuchtende Erklärung für die am Donnerstag erstmals in größte Tageszeitung Spaniens, El País, veröffentlichten Beweise für die Korruption in der PP schuldig. Die Presse wurde nur in einen Saal mit Live-Übertragung vorgelassen. Fragen gab es somit nicht.
Keine 24 Stunden später legte El País nach und druckte alle Papiere von Ex-PP-Schatzmeister Luis Bárcenas. Der Mann, der 20 Jahre lang die Finanzen der PP verwaltete, hat in den fraglichen Dokumenten penible Ein- und Ausgänge von Schwarzgeld von 1990 bis 2008 handschriftlich vermerkt. Die Gelder stammten hauptsächlich von Bauunternehmen. Bedacht wurden Minister und hohe PP-Funktionäre.
Am häufigsten taucht Rajoy selbst als Nutznießer auf. „Insgesamt gibt es 35 Einträge über einen Zeitraum von 12 Jahren“, schreibt El País und berechnet die Zuwendungen auf 322.231 Euro. Außerdem sind Anzüge und Krawatten für 33.207 Euro aufgeführt.
Für Rajoy ist alles eine Verschwörung: „Wenn jemand glaubt, dass er mich unter Druck setzen zu können, damit ich mich zurückziehe und meine Arbeit aufgebe, mit der mich die Spanier betraut haben, dann täuscht er sich“, bekräftigte er seinen Willen im Amt zu bleiben. Als Beweis der Unschuld werde er in der kommenden Woche seine Steuererklärungen öffentlich machen, als wären dort Schwarzgeldbezüge eingetragen.
Der PP-Chef stellte sich in seiner Rede auch ausdrücklich vor alle anderen Beschuldigten. Besonders widmete er sich seiner Gesundheitsministerin Ana Mato. Diese hatte – so wurde ebenfalls am Wochenende bekannt – jahrelang Zehntausende von Euro von Unternehmern für Reisen und Familiengeburtstage erhalten, darunter 4.680 Euro für Konfetti und 11.800 Euro für Clowns. „Mach dir keine Sorgen, wir wissen, was du durchmachst“, grüßte Rajoy Mato.
Mehrere PP-Vorstandsmitglieder von Rajoy verlangten gegen Bárcenas vor Gericht zu ziehen. Gegen den ehemaligen Schatzmeister wird seit vier Jahren im sogenannten Fall Gürtel ermittelt. Bárcenas, der 22 Millionen Euro in die Schweiz geschafft hat, soll einem breiten Netzwerk angehören, das die PP und so manchen Politiker mittels Bauspekulation finanziert haben soll, darunter auch die Feste der Gesundheitsministerin. Rajoy sprach Bárcenas dennoch immer wieder sein Vertrauen aus. Dieser wisse zu viel, mutmaßt die spanische Presse.
Umfragen zeigen, dass die PP in der Wählergunst von 44,6 Prozent bei ihrem Wahlsieg 2011 auf knapp 24 Prozent eingebrochen ist. 80 Prozent der Befragten verlangen den Rücktritt aller, die in den Genuss der Umschläge kamen.
Am Samstag und Sonntag kam es in vielen Städten erneut zu Demonstrationen für den Rücktritt Rajoys. In Madrid sind die Zentrale der PP und das Parlamentsgebäude weiträumig abgesperrt. Hundertschaften sind rund um die Uhr im Einsatz um Menschenansammlungen aufzulösen. „Die Kriminellen sind nicht wir“, riefen die Demonstranten immer wieder.
Rajoy dürfte sich währenddessen auf sein erstes Treffen mit der Presse vorbereiten. Er befindet sich am Montag zu einem Gipfel in Berlin. Dort ist eine gemeinsame Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel angesetzt. Den Fragen der spanischen und internationalen Presse wird er dann wohl kaum mehr ausweichen können.
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Meine Meinung
Chance für einen Politikwechsel

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy ist seit Samstag ein wandelnder Toter. Der Konservative wird den „Fall der Umschläge“, wie die Spanier den Skandal um die Schwarzgeldbezüge hoher Funktionäre der Volkspartei (PP) und von Ministern nennen, nicht aussitzen können. Zu tief ist er selbst verstrickt. Die Ausrede, die veröffentlichte parallele Buchführung sei falsch, zieht nicht. Denn mehrere PP-Mitglieder haben bereits zugegeben, dass die auf sie vermerkte Summe den Tatsachen entspreche, darunter der Vorsitzende der zweiten spanischen Parlamentskammer, dem Senat.


Es der Zeitpunkt gekommen, sich um den Tag nach Rajoy Gedanken zu machen. Es wäre ein letzter anständiger Zug des tödlich getroffenen Rajoy, vorgezogenen Neuwahlen anzuberaumen. Sicher, die Umfragen zeigen, dass sowohl die PP Rajoys als auch die sozialistische Opposition PSOE in der Wählergunst ständig weiter absacken. Wo die Reise endet ist nicht abzusehen.


Im Falle der PP ist es die Korruption und die Sparpolitik, die sie für viele unwählbar gemacht hat, im Falle der PSOE die Änderung der Verfassung im Sommer 2011. Auf Druck aus Brüssel und Berlin wurde eine Schuldenbremse in die Magna Carta aufgenommen. Bankenschulden gehen seither vor Sozialausgaben.


Die derzeitige Krise könnte das Ende des übermächtigen Zwei-Parteiensystems einläuten. Die Vereinigte Linke und die UPyD, eine Formation, die sich aus Deserteuren der beiden großen Parteien speist, legen bei den Umfragen zu. Beide stehen für ein neues, gerechteres Wahlsystem. Ein Anliegen, das die Empörten einst 2011 erstmals auf die Straße brachte.


Die Alternative zu Neuwahlen wäre ein erzwungener Rücktritt Rajoys durch die EU, wie in Italien. Dies würde einen Technokraten an die Macht bringen, der keinerlei demokratische Legitimität genießt. Die Spanier haben dies nach all den Jahren der Mobilisierungen seitens der Empörten und der Gewerkschaften nicht verdient. Die derzeitige politische Krise bietet die Chance für einen Politikwechsel in Spanien und Europa. Auch wenn dies Brüssel und Kanzlerin Angela Merkel nicht gefällt.

Was bisher geschah: