© 2012 Reiner Wandler

Schiefergas: Segen oder Fluch?

Tunesiens Regierung setzt auf unerwarteten Reichtum. Im Landesinnere werden riesige Vorkommen an Schiefergas vermutet. Die Islamisten von Ennahda unter Ministerpräsident Hamadi Jebali verhandeln mit dem internationalen Erdölkonzern Shell. In den kommenden Wochen soll der Vertrag unterschriftsreif sein. Bereits im kommenden Jahr will Shell die ersten drei Bohrungen vornehmen. Umweltschützer kündigen Widerstand an. Um das Gas zu lösen müssen riesige Mengen Wasser und Chemikalien in den Untergrund gepumpt werden. Fracking heißt das umstrittene Verfahren, das im US-Bundesstaat North Dakota zum Einsatz kommt.

Shell wolle, so die tunesische Regierung umgerechnet 10 Milliarden Euro investieren. Die Tagesförderung könne bis 2020 bei 12.000 Barrel liegen. Langfristig seien gar bis zu 70.000 Barrel am Tag möglich. „Wir haben wenige Alternativen“, erklärt Rachid Ben Dali, Generalsekretär für Energie im Industrieministerium. Denn „Tunesien hat angesichts der Gefahren, die sie in sich birgt, auf Atomenergie verzichtet und die erneuerbaren Energien sind teuer“. Das tunesische Industrieministerium rechnet mit einer Zunahme des Energiebedarfs von sechs Prozent jährlich. Vor allem das Bevölkerungswachstum ist daran schuld. Denn Trinkwasser wird immer rarer. Die Lösung ist die Entsalzung von Meerwasser und dafür wird Energie gebraucht.
Vor drei Wochen zogen erstmals Hunderte von Umweltschützern vor das Parlament in Tunis. Sie beklagen sich über die fehlende Transparenz bei den Verhandlungen. Das Industrieministerium hat zu keinem Zeitpunkt das Parlament unterrichtet. Die Umweltschützer fordern eine unabhängige Expertenkommission und verweisen auf das Verbot des „Frackings“ in Canada und Frankreich aus ökologischen Gründen.
Es ist ausgerechnet das Wasser, das den Umweltschützern am meisten Sorge bereitet. Die dabei zum Einsatz kommende Technik sieht Bohrungen von über 4000 Meter Tiefe vor. Dort werden mittels waagrechte, kilometerlange Löcher Wasser mit Chemikalien in den Untergrund gepumpt. Das Gestein wird so gesprengt und setzt das eingeschlossene Gas und Öl frei. Der Abgeordnete im Übergangsparlament Chokri Yaiche warnt vor der „zunehmenden Wüstenbildung“. „Das ist die rote Linie, die wir nicht überschreiten dürfen“, warnt der Umweltwissenschaftler, der auf der liberalen Liste „Afek Tounes“ (Horizont Tunesien) in die erste Volksvertretung nach dem Sturz des Diktators Ben Ali gewählt wurde. Je nach Größe der Bohrung werden – so zeigen die Erfahrungen in den USA – vier bis elf Millionen Liter Wasser benötigt.
„Jeder Brunnen verbraucht so viel Wasser wie ein Dorf mit Tausend Einwohnern“, warnt auch die Wissenschaftlerin und Vorsitzende von AgricoForest, Assma Mdalssi. Bis zu 700 teils hochgiftige chemische Produkte werden dem Wasser beigemischt. Die Gegnerin des Schiefergasabbaus fürchtet um das Grundwasser und die Landwirtschaft.
Die Gegern des Schiefergasabbaus werfen der islamistischen Regierung vor, das Projekt um jeden Preis umsetzen zu wollen, um politischen Freunden einen Gefallen zu tun. Denn der größte Einzelaktionär bei Shell ist der staatlichen Investitionsfond aus Qatar. Seit Jebali regiert werden immer wieder Wirtschaftsabkommen mit dem Emirat geschlossen. Zuletzt wurden der Fluggesellschaft Qatar Airways weitgehende Privilegien auf den Flughäfen Tunesiens eingeräumt. Qatar soll, so die tunesische Presse, den Wahlkampf Ennahdas finanziert haben.

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