© 2012 Reiner Wandler

Gefühle statt Realität

Der katalanische Ministerpräsident Artur Mas macht das Unmögliche möglich. Der konservative Nationalist hat eine der schlechtesten Wirtschaftsbilanzen der spanischen autonomen Regionen vorzuweisen und liegt bei den Umfragen für die vorgezogenen katalanischen Neuwahlen am kommenden 25. November dennoch vorn. Seine Convergència i Unió könnte gar knapp die absolute Mehrheit erreichen. Artur Mas hat das ideale Wahlkampfthema gefunden. Statt über die Wirtschaft, Sozialpolitik und die harten Sparprogramme zu reden, verspricht er, die Region im Nordosten Spaniens bis spätestens 2020 in die Unabhängigkeit zu führen.

Es ist eine geschickte Flucht nach vorn: Katalonien ist bankrott. Die Ratingagenturen haben die Region als Ramsch eingestuft. Mas blieb kein anderer Ausweg, als ausgerechnet in Madrid um fünf Milliarden Finanzhilfe anzufragen. Seine harte Sparpolitik beschleunigt die Abwärtspirale zusehends. Nirgends ist in den letzten Monaten die Arbeitslosigkeit so schnell gestiegen, wie in Katalonien. 25 Prozent sind ohne Job. Der einstige industrielle Motor Spaniens hat damit den Landesschnitt erreicht. Nirgends wurden seit dem Beginn der Krise 2007 so viele Menschen aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt wie in Katalonien. Knapp 30 Prozent der 7,5 Millionen Katalanen leben mittlerweile unter der Armutsgrenze, so die größte Gewerkschaft CCOO. Mas verweigert zusätzliche Hilfe zur Armutsbekämpfung. Es fehle an Geld. Steuererleichterung, wie die Streichung der Erbschaftssteuer freilich wurden nicht zurückgenommen.
So bleibt nur weiteres Sparen. Krankenhäuser werden geschlossen. 7.500 Angestellte im Gesundheitsbereich sollen entlassen werden. Die Liste derer, die auf eine Operation warten, wird immer länger. An Schulen und Universitäten wurden 3.500 Lehrer entlassen, sechs Schulen geschlossen, die Studiengebühren um 67 Prozent angehoben.
„Madrid beklaut uns“, heißt die einfache und wirkungsvolle Anschuldigung mit dem Artur Mas alle Verantwortung von sich weist. Um aus der Krise zu kommen, hatte er im September von der Regierung in Madrid ein neues Steuersystem verlangt. Die Einnahmen sollten künftig hauptsächlich in der Region bleiben zu Lasten der Abgaben an die Zentralregierung und der Zuwendungen an die armen Regionen im Süden. Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy, der selbst nicht weiß, wie er ein Rettungsgesuch an die EU umgehen soll, lehnte ab.
Mas fuhr erbost nach Barcelona zurück und setzte vorgezogenen Neuwahlen an und begann seine Kampagne für die Unabhängigkeit Kataloniens. Rajoy und seine Volkspartei (PP) sind seither der Hauptfeind. Vergessen sind die zwei ein halb Jahre in denen Mas und seine CiU alle Sparprogramme zusammen mit den spanischen Konservativen durchs katalanische Parlament in Barcelona stimmten.
Die Taktik von Mas geht auf. Seine CiU plakatieren den Slogan „Der Wille eines Volkes“. Mas verspricht Steuersenkungen und höhere Renten, für ein künftiges unabhängiges Katalonien. Über die neuen, noch härteren Sparpakete für den Haushalt 2013 verliert er kein Wort. Und niemand stellt ihn zur Rede.
Die Konservativen der PP halten „Katalonien Ja, Spanien auch“ dagegen und sind froh, dass auch sie nicht über ihre Austeritätspolitik seitens der Zentralregierung Rajoys reden müssen. Und die Sozialisten, unter denen sowohl in Madrid als auch in Katalonien das Sparen begann, fordern lieber „Föderalismus“, als sich um soziale Themen zu kümmern. Nur das Bündnis aus Postkommunisten und Grünen, ICV, hebt zaghaft den Sozialabbau auf ihre Plakate, ohne freilich den Wunsch nach Unabhängigkeit, dem auch sie anhängen, zu vergessen. „Und ob wir können! Recht frei zu entscheiden, ja. Soziale Rechte auch“ heißt es.

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