© 2012 Reiner Wandler

#25S Ausnahmezustand in Madrid

Es sollte eine friedliche „Umzingelung des Kongresses“ werden, um gegen die Krisenpolitik und für eine „verfassungsgebenden Prozess“ zu demonstrieren. Doch am Ende der Proteste am Dienstag Abend vor dem spanischen Parlament im Herzen Madrids stand eine traurige Bilanz. 35 Demonstranten wurden verhaftet. Die notärztlichen Dienste zählten 64 Verletzte, darunter 27 Polizisten. Über 20 verletzte Demonstranten befinden sich noch immer im Krankenhaus. Einer von ihnen wurde durch die Schläge mit den langen Holzknüppeln der Sondereinsatzpolizei schwer am Rückrat verletzt. Ob er je wieder gesund wird, ist unklar.
Die höchste Autorität für öffentliche Sicherheit in der Region Madrid, die Regierungsdelegierte Cristina Cifuentes, lobte die Polizei für den „profesionelen Einsatz zum Schutz des Rechtsstaates“. Die Einheiten hätten einen Überfall auf das Parlament verhindert. „Das war die eigentliche Absicht der Demonstranten“, erklärte Cifuentes im Radio.
Das Parlament ist seit Dienstag früh dreifach von der Polizei abgeriegelt. 1350 Beamte der Sondereinsatzpolizei, Hunde- und Pferdestaffeln wurden aus ganz Spanien zusammengezogen. Selbst ein Schützenpanzer ist vor dem Parlament stationiert. Die Parlamentarier konnten erst gegen Mitternacht das Gebäude verlassen. Am Mittwoch wurden sie erneut unter Polizeischutz zur Plenarsitzung gebracht. Neue Proteste waren für den Abend angekündigt.
Zehntausende Menschen aller Altersgruppen versammelten sich am Dienstag entlang der Polizeisperren. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, war auf einem großen Transparent zu lesen. „Sie repräsentieren uns nicht“, lautete einer der Sprechchöre, der aus der Zeit des Protestcamps in der Madrider Innenstadt im Mai 2011 stammt. Neben den Fahnen der spanischen Republik wehten vereinzelt die von Island und Griechenland. Zuerst verliefen die Proteste friedlich, bis die Polizei ihre Absperrung verließ, um gezielt Personen zu verfolgen, die am Zaun gerüttelt hatten. Die Lage eskalierte.
Die Demonstranten beschuldigen die Polizei der gezielten Provokation und berufen sich auf Aufnahmen des staatlichen Fernsehens TVE zeigen eine Gruppe von etwa 20 jungen Männern, alle mit den gleichen Kapuzenpulis, und den gleichen roten Fahnen ohne jegliches Embleme. Sie griffen die Polizei an. Zwei von ihnen wurden verhaftet. Wenige Minuten später ist einer der beiden wieder zu sehen. Dieses Mal auf Seiten der knüppelnden Beamten. Er unterstützt sie bei Verhaftungen. Ähnlicher Vorfälle wurden in den letzten Monaten auch aus Barcelona bekannt. Auch dort schleust die Polizei immer wieder Gruppen in die Demonstrationen ein. Videos die das belegen, wurden auf Drängen der Behörden von Youtube gelöscht. Auch der Film aus Madrid ist bereits mit einem Vermerk versehen, das er bei youtube gemeldet worden ist.
Bis um Mitternacht machten die Polizeieinheiten überall in der Madrider Innenstadt Jagd auf kleinere Gruppen von mutmaßlichen Teilnehmern der Aktion. Selbst auf den Bahnsteigen des Bahnhofes Atocha, von wo die Pendlerzüge in die Vororte fahren, kam es zu Schlagstockeinsätzen. Sie richten sich willkürlich gegen jedwede Person, die den Polizisten verdächtig erschien. Pressefotografen wurden gewaltsam an ihrer Arbeit gehindert.
Die Regierungsdelegierte Cifuentes hatte bereits im Vorfeld die Stimmung mit ihren Erklärungen aufgeheizt. Sie warf den Organisatoren vor, einen „Staatsstreich“ und die „Anarchie“ zu planen. Die Sicherheitsbehörden hätten 800 bis 1000 Madrider unter Beobachtung, „die sich an allen Protesten beteiligen“, drohte sie.
Acht mutmaßliche Organisatoren wurden bei einer öffentlichen Versammlung im Stadtpark von Madrid festgenommen, auf der die Proteste vorbereitet wurden. Der oberste spanische Strafgerichtshof, die Audiencia Nacional, ermittelt „wegen Störung der Betriebs einer staatlichen Institution“. Darauf stehen sechs bis zwölf Monate Haft. Ist dabei Gewalt im Spiel, kann sich die Strafe auf bis zu 5 Jahre belaufen.

Was bisher geschah: