© 2012 Reiner Wandler

"Vorzugskunden" in Not

Spaniens Banken und Sparkassen zockten Kunden mit komplexen Produkten ab.
Ángeles Molina kann es einfach nicht glauben. „Der hat mich übers Ohr gehauen“, schimpft sie immer wieder auf den Bankia-Filialleiter in ihrem Madrider Stadtteil. „20 Jahre war ich Kundin. Wir waren so was wie Freunde“, fügt sie hinzu. Auf Anraten des Bankangestellten hat die 67-Jährige Rentnerin vor drei Jahren 15.000 Euro angelegt: „Jetzt sind 8.000 davon futsch!“ Eigentlich wollte Molina nur eine einigermaßen ordentlichen Zinssatz. „Spekuliert oder Aktien gekauft habe ich nie“, sagt sie. Der Filialleiter schwätze ihr Preferentes auf.
Preferentes? Vorzugsanlagen? Für sie, eine einfache Putzfrau? Das klang gut und schmeichelte. Der Banker redete von 6 Prozent Zinsen, das Geld könne sie selbstverständlich jeder Zeit abheben, es sei so etwas wie festangelegtes Sparguthaben, nur besser und ohne jegliches Risiko.

„Alles schien perfekt, bis plötzlich mein Guthaben schrumpfte“, erinnert sie sich. Das war Ende 2011. Erst waren es nur noch 12.000 Euro, jetzt gar nur noch 7.000. Was Molina nicht wusste: „Preferentes“ sind kein Festgeld sondern ein „komplexes Produkt“, von der Bank ausgegebene Beteiligungen, die nicht an der Börse, sondern auf einen Parallelmarkt gehandelt werden. Die Anlage läuft nicht aus. Das Geld bekommt nur der zurück, der seine Preferentes weiterverkauft. Die Rentabilität ist nicht sicher, das Grundkapital nicht gewährleistet. Und im Falle des Bankrotts des fraglichen Finanzinstitutes springt anders als bei Sparguthaben der Bankengarantiefond nicht ein.
Seit das spanische Finanzsystem in Schräglage geriet, ist der Markt für Preferentes zusammengebrochen. Der Wert der Anteile verfällt. Mittlerweile wurde Bankia sogar teilverstaatlicht. Europa besteht darauf – und so steht es im Memorandum für die Bankenrettung – dass die Inhaber von Preferentes bei der Sanierung Geld lassen müssen.
Auch 75-jährige, pensionierte Pharmavertreter Antonio Gutiérrez hat Bankia-Preferentes gekauft. Auch er vertraute seinem Filialleiter als er 2004 120.000 Euro anlegte. „Es war unser Erspartes, um auch im Alter unabhängig zu sein, falls wir mal ins Pflegeheim müssen, oder sonst etwas Unvorhergesehenes passiert“, erzählt er.
2011 bot ihm Bankia einen Tausch der Preferentes gegen normale Aktien an. „Ich wollte mein Geld zurück, dich das ging nicht“, berichtet er. 3 Euro 34 kostete ihn die Bankia-Aktie. Anfang Mai kollabierte der Zusammenschluss aus sieben Sparkassen rund um Caja Madrid, und wurde vom Staat übernommen. „Jetzt ist die Aktie noch 60 bis 80 Cent wert. Ich habe drei Viertel meines Geldes verloren. Die Aktien werden zu meinen Lebzeiten doch nie wieder den alten Stand erreichen“, sagt Gutiérrez.
„Insgesamt wurden Preferentes für 26 Milliarden Euro an 710.000 Kunden verkauft“, weiß der Sprecher von Adicae, Javier Contreras. Der Verbraucherschutzverband Adicae berät Menschen wie Molina und Gutiérrez und bereitet Sammelklagen vor. Zehntausend haben sich bereits gemeldet. 37 Finanzinstitute und drei große Konzerne habe Preferentes aufgelegt. „Das Produkt gibt es seit 1999 aber mehr als die Hälfte wurde nach 2007 verkauft“, erklärt der junge Wirtschaftsanwalt.
Damals standen die Banken und Sparkassen vor einem Fiasko. Jahrelang hatten sie mit großzügigen Krediten den Wohnungsmarkt angeheizt. Durch die internationalen Finanzkrise platzte auch die Immobilienblase in Spanien. Die Finanzinstitute brauchten dringend Eigenkapital. „Was bis dahin ein Produkt für Großanleger mit Risikobereitschaft war, wurde jetzt einem breiten Kundenkreis verkauft“, berichtet Contreras. Es waren vor allem langjährige Kunden, fast ausschließlich Rentner, die beworben wurden. „Die meisten vertrauten dem Bankangestellten“, beschwert sich der Verbraucherschützer. Es gebe Fälle von Blinden und Analphabeten, die ohne Beistand Preferentes gezeichnet haben.
Adicae hat sich mehrmals an die Börsen- und Finanzmarktaufsicht (CNMV) gewandt, ohne Erfolg. „CNMV und die Spanische Zentralbank waren all die Jahre über so etwas wie der Unternehmerverband der Finanzinstitute, statt ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen“, resümiert Contreras. Dass Europa jetzt von den Preferentes-Kunden verlangt, für die Sanierung der Banken und Kassen zuzahlen, versteht er nicht: „Wären es Großanleger, ok, aber nicht bei dem Kundenkreis, der Opfer eines riesigen Betrugsmanövers ist.“
Adicae bereitet zwei Klagen vor. Eine gegen die Ausgabe der Preferentes und eine gegen den Börsengang von Bankia. Denn diese habe ihre wirtschaftliche Lage verschwiegen, um erfolgreich an die Börse zu gehen. Eine unabhängigen Buchprüfung erbrachte im Mai diesen Jahres, dass Bankia bankrott ist und 23 Milliarden zur Sanierung braucht.
Ein Urteil von vergangener Woche macht den Preferentes-Anlegern Mut. Im nordwestspanischen Galicien gaben die Richter einen betroffenen recht. Die Kasse Novagalicia muss ihm sein Geld zurückzahlen.

Was bisher geschah: