© 2012 Reiner Wandler

#StopDesahucios Vom Verlust der Wohnung

María Luisa Brañas umarmt Verwandten und Freunde. „Danke, danke …“ – stammelt sie erleichtert. Die 51-Jährige hat soeben einen Aufschub ider Zwangsräumung herausgehandelt. Zwei weitere Monate kann sie mit ihrer sechs-köpfigen Familie in der Wohnung im Madrider Aussenbezirk Villaverde bleiben. Die Vertreter der Bank und der Gerichtsvollzieher haben dem nicht ganz freiwillig zugestimmt. Brañas hatte Unterstützung von einem Anwalt der Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH), einer Selbsthilfeorganisation der von Zwangsräumung Bedrohten, sowie vom 15-M, Spaniens Bewegung der Empörten. Rund 50 Personen hatten sich vor der Tür der Erdgeschosswohnung versammelt und machten klar, dass sie ohne Polizei den Zutritt nicht freigeben würden. Der Einsatz blieb aus.
Die Familie Brañas ist kein Einzelfall. Mehre Dutzend Zwangsräumungen werden monatlich alleine in der Stadt Madrid angesetzt. In ganz Spanien waren es im vergangen Jahr 58.241. Nur in einem kleinen Teil der Fälle verhindern Proteste, dass die Bewohner auf die Straße gesetzt werden.
Es sind fast immer Fälle wie der von María Luisa Brañas. „Wir sind alle arbeitslos“, sagt die Frau, die bis 2006 in einem Betrieb gearbeitet hat, der Gemüse abpackt. 17 Jahre war sie dabei, als das Unternehmen schloss. Brañas Mann Francisco ist Koch und findet in Zeiten der Krise nur gelegentlich noch Aushilfsjobs für wenige Tage. „Dabei hat er früher richtig gut verdient“, erzählt Brañas eine Woche vor dem Besuch des Gerichtsvollziehers in ihrem kleinen Wohnzimmer. „Und die Kinder haben auch keine Arbeit und beziehen auch kein Arbeitslosengeld mehr“, fügt sie hinzu.
Nur der Älteste mit seinen 32 Jahren findet ab und an etwas Schwarzarbeit als Fahrer. Er hat selbst schon eine Tochter. Von dem wenigen was er verdient steckt er seinen Eltern dennoch etwas zu. „Doch für die Monatsrate von 600 Euro für den Wohnungskredit reicht es schon lange nicht mehr. Im Augenblick habe ich gerade einmal 20 Euro“, sagt Brañas und blickt auf das Portemonnaie vor ihr auf dem Tisch. Die kleine, untersetzte Frau versucht nervös eine Zigarette zu stopfen. Es gelingt ihr nicht. Die verquollenen Augen zeugen von langen schlaflosen, besorgten Nächten. Überall stehen gepackte Umzugskartons.
Zahlen, im Gespräch Brañas dreht sich alles um Zahlen. 150.000 Euro kostete 2005 die 86-Quadratmeter-Wohnung. Das war auf dem Höhepunkt des spanischen Immobilienbooms sogar noch billig, denn es handelt sich um ein Gebäude, das von der Stadtverwaltung für sozial schwache und kinderreiche Familien errichtet wurde. Mittlerweile sind 16.000 Euro an Verzugszinsen, Gerichts- und Anwaltskosten hinzugekommen. „Außerdem schulde ich meinen Schwager und meiner Schwester große Summen. Sie haben uns unterstützt, bis auch sie nicht mehr konnten“, erzählt Brañas. Immer wieder wird sie vom Frühprogramm im Fernsehen abgelenkt. Dort ist das zu sehen, was auf Brañas zukommt. Bei einer Zwangsräumung in Madrid griff die Polizei ein. 20 Protestierende wurden verhaftet, viele von ihnen verletzt. „Ich hoffe, dass es hier friedlich bleibt“, sagt die Frau besorgt.
Den Kredit nahm die Familie Brañas bei der CAM auf. Die Sparkasse aus Valencia ist mittlerweile dem Bankrot nahe und steht ganz oben auf der Liste derer, die mit EU-Geldern saniert werden soll. „Warum wird den Banken geholfen und den Menschen nicht?“ fragt Brañas den Tränen nahe.
„Das System ist völlig ungerecht“, beschwert sich auch Vicente Pérez. Der Soziologe ist Vorsitzender der PAH in Madrid. „Wer aus der Wohnung geräumt wird, sitzt einfach auf der Straße. Die Schulden bleiben dennoch“, berichtet Pérez. Denn die Bank versucht die Wohnung meist erfolglos zu versteigern oder nimmt sie zu einem geschätzten Preis zurück. Nach dem Platzen der Spekulationsblase liegt dieser mindestens 50 Prozent unter dem, was im Kreditvertrag steht. „In anderen Ländern, wie den USA, gibst du die Wohnungsschlüssel ab und gehst schuldenfrei. Wir wollen, dass dies auch hier so ist.“ Doch trotz Zehntausender Unterschriften kann sich Spaniens Politik nicht zu einem solchen Gesetz durchringen. Das würde Banken und Sparkassen noch tiefer in die Krise treiben, fürchten Regierung und Teile der Opposition.
Dabei sind nicht die privaten Wohnungskäufer die Hauptverantwortlichen für die 153 Milliarden an Krediten, die nicht mehr debient werden. Nur drei Prozent der Wohnungskäufer zahlen nicht oder unregelmäßig. Bauindustrie und den Immobilienhändlern tilgen mittlerweile 22 Prozent ihrer Kredite nicht mehr. Großen Unternehmen, wie denen, die unrentable Mautautobahnen rund um Madrid gebaut haben, wird sogar mit staatlichen Millionen geholfen.
Pérez und die PAH wollen die zwei Monate Aufschub für die Familie von María Luisa Brañas nutzen, um mit der Bank zu verhandeln. Das Ziel: „… dass sie für eine Sozialmiete bleiben können und ihnen die Schulden erlassen werden.“ Und wenn das nicht klappt und die Räumung letztendlich vollstreckt wird? Brañas hat dafür einen Plan. „Dann kommen wir einfach wieder und besetzen unsere Wohnung.“ Die Nachbarn im Block haben ihr zugesichert, sie dabei zu unterstützen.

Was bisher geschah: