© 2012 Reiner Wandler

Steuer bedroht Kultur

Spaniens konservative Regierung macht vor nichts Halt. Nach der Kürzung von Sozialausgaben und Beamtenlöhnen ist jetzt im Dienste der Haushaltskonsolidierung auch die Kultur an der Reihe. Bei einer allgemeinen Anhebung der Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent werden Kulturveranstaltungen ganz besonders bedacht. Sie genossen bisher einen ermässigten Steuersatz von 8 Prozent. Damit ist es jetzt vorbei. Auch auf Eintrittskarten für Kulturverabstaltungen werden künftig 21 Prozent erhoben. Kinobesitzer, Konzertveranstalter und Produzenten fürchten um ihre Zukunft.
„Wir können diese Steuererhöhung nicht einfach übergehen und weniger verdienen. Aber wir können in der derzeitigen Lage auch nicht die Eintrittspreise erhöhen“, beschwert sich der Vorsitzende der spanischen Kinoakademie, Enrique González Macho. Der Eintritt kostet bereits jetzt zwischen sieben und acht Euro. Seit Jahren gehen die Besucherzahlen zurück. Bei einer Arbeitslosigkeit von 25 Prozent – bei der Jugend ist sie gar doppelt so hoch – leisten sich immer weniger Menschen den Luxus ins Kino zu gehen. Stattdessen steigt die Zahl der Raubkopien, die aus dem Internet gezogen werden. Spanien ist bei Film- und Musikpiraterie mittlerweile Spitzenreiter in der EU.
Im vergangenen Jahr gingen die Einnahmen der Kinos um 12 Prozent zurück. 400 von 4.200 Sälen mussten schließen. 70 Prozent der verbleibenden Säle befinden sich – so die Kinoakademie – am Rande der roten Zahlen. Nicht nur die Erlöse an der Kinokassen gehen zurück. Durch die Kürzungen bei den öffentlichen Fernsehanstalten haben diese kein Geld mehr als Co-Produzenten aufzutreten.
Auch die Konzertveranstalter fürchten um ihr Geschäft. „Die Mehrwertsteuererhöhung bringt uns an den Rand des Abgrunds“, beschwert sich der Chef des Branchenverbandes APM, Pascual Egea. 2011 sei der Umsatz um 18,3 Prozent gesunken. „Wir beschäftigen 90.000 Menschen“, gibt Egea zu bedenken.
Da im restlichen Europa die Mehrwertsteuern für Kulturveranstaltungen weiterhin unter 10 Prozent liegen – im benachbarten Frankreich sind es 5,5 und in Deutschland 7 Prozent – befürchtet die APM einen Standortnachteil für Spanien. „Andere Länder sind werden künftig deutlich im Vorteil sein, wenn es darum geht, große Tourneen anzuziehen“, heißt es in einem APM-Kommuniqué. Der Verband bezweifelt, dass die Steuererhöhung tatsächlich Mehreinnahmen für das Finanzamt bringen wird. Im benachbarten Portugal ging nach einer ähnlichen Maßnahme die Zahl der Besucher bei Kulturveranstaltungen um 45 Prozent zurück.
„Es ist mehr als eine Steuererhöhung“, beschwert sich die kulturpolitische Sprecherin der oppositionellen sozialistischen PSOE, María del Mar Villafranca. „Es handelt sich um einen Richtungswechsel der Regierungspolitik gegenüber der Kulturindustrie. Dies schadet sowohl den Künstlern als auch den Konsumenten.“ Für Del Mar Villafranca ist „die Kultur gerade auch in Krisenzeiten wichtig“.
Die verschiedenen Verbände aus der Film- und Musikbranche haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, dass die sofortige Rücknahme der Steuererhöhung verlangt. Viele der Kulturschaffenden sehen in der Steuerpolitik so etwas wie einen Racheakt der Konservativen. Denn wie in vielen Ländern unterstützen auch in Spanien die meisten Künstler bei den Wahlen linke Parteien.
Zwar wurden Vertreter der Film- und Musikindustrie sowie des Theaterverbandes von einem Staatssekretär im Kulturministerium empfangen. Jedoch ohne Erfolg. „Damit müssen sie wohl leben“, lautete der knappe Kommentar von Kulturministers José Ignacio Wert gegenüber der Presse.

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