© 2012 Reiner Wandler

#em12 "La Roja", "la crisis" und "la Merkel"

Es war kein Satz für die Geschichte, aber sehr wohl ein Satz fürs Gemüt: „Ich habe es aus Stolz getan“, erklärte der spanische Nationalspieler Sergio Ramos nach seinem Elf-Meter gegen Portugal. Es war ein Strafstoß der an Schönheit nur von Andrea Pirlos Schlenzer gegen England überboten wurde. Ramos, der dafür bekannt ist, wichtige Elf-Meter in den Abendhimmel zu donnern, traf mit Eleganz und durfte zu Recht „Stolz“ empfinden.
„Stolz“ ist genau das, was den Spaniern in den letzten schweren Wochen der Krise abhandengekommen ist. Wen wundert es da, dass es eben jener Satz ist, den die Presse in Spanien begeistert? „Als das Land in Sachen Krise am schlechtesten dagestanden hat, ist der Fußball eine Oase gewesen. Die Menschen haben all das ein bisschen vergessen und sich auf dem Fußball konzentriert“, fügt Torhüter und Kapitän Iker Casillas hinzu, als wäre EM und Krise bereits vorbei.
Zu Hause springt der Funke der Freude nur teilweise über. Die Kneipen, die die Spanier für Freizeitplauschs, Arbeitstreffen, Familienfeiern und eben auch zum kollektiven Fußballvergnügen, so schätzen, bleiben weitgehend leer. Anders als noch vor zwei Jahren bei der WM bekommt auch der eine Platz, der sich nach Anpfiff entscheidet, nicht alleine, sondern in Gesellschaft mitzuzittern. 25 Prozent Arbeitslosigkeit, Kürzungen bei Gehältern und Löhnen im Öffentlichen Dienst und die Angst vor Entlassung lässt das Geld fest im Portemonnaie sitzen.
Nach dem Halbfinale blieb in Madrid die zentrale Puerta del Sol so gut wie leer. Nur wenige fanden den Weg zu Spaniens zentralstem Platz. Jeder der x-beliebige Sozialprotest versammelt hier fast täglich ein Vielfaches an Menschen.
Und das in Zeiten, in denen sich Spaniens Nationalequipe anschickt Geschichte zu schreiben. Nach einem EM-Sieg vor vier Jahren und der Weltmeisterschaft 2010 hat „La Roja“ jetzt erneut die Möglichkeit gegen Italien Europameister zu werden. Sollte dies gelingen, wäre Spanien das erste Land mit drei Titeln in Folge. Der deutschen Nationalmannschaft in den 1970ern wäre dies fast gelungen, aber eben nur fast.

Doch trotz der großen sportlichen Moments verdrängt Tag für Tag die Krise den Fußball auf Platz 2 der Schlagzeilen. Selbst während dem Halbfinale gegen Portugal legte die konservative Regierung unter Mariano Rajoy keine Pause ein. Zeitgleich zum Spiel wurde die angeschlagene Bankia zu 100 Prozent verstaatlicht. Weitere 13 Milliarden Euro wird dies den Steuerzahler kosten. Privat gebaute Autobahnen, die nicht rentabel sind, werden mit Hunderten von Millionen bezuschusst. Und um schon einmal Geld einzusammeln, wurde gleichzeitig bekannt gegeben, dass die Krankenkasse künftig 450 Medikamente nicht mehr finanziert. „Werden wir uns am Sonntag mit jedem Tor ein Medikament zurückbekommen, oder werden wir gar zum Miteigentümer bei einer Bank oder einer Autobahn“, beschwerte sich eine Sprecherin beim staatlichen Radio Nacional.
Spanien ist ein Land der „Empörten“. Dem allgemeinen Gefühl sozialer Kälte und sozialer Ungerechtigkeit ist nichts mehr heilig – auch „La Roja“ nicht. Lange bevor die Presse darüber berichtete, wusste jeder im Land, dank Facebook und Kneipengespräche, dass die Nationalkicker, sollten sie Europameister werden, 300.000 Euro pro Kopf als Prämie erhalten. Das sind 20 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren bei der WM, während zu Hause die Zuwendungen für den Breitensport, Sozialleistungen sowie Löhne und Gehälter mit Verweis auf die Krise gekürzt werden.
Die linke Opposition im Parlament macht sich zum Wortführer der allgemeinen Unzufriedenheit und fordert, dass die Siegesprämien zumindest in Spanien versteuert werden müsse. Was selbstverständlich erscheint, ist es nicht. Vor zwei Jahren wurde das Geld in Österreich, dem „Arbeitsort“ während der WM, ausgezahlt. Dort ist der Spitzensteuersatz niedriger als zu Hause. In der Ukraine und Polen ist das wieder der Fall.
Das Lieblingsendspiel der meisten Spanier, wird es leider nicht geben. Zu gerne hätten sie ihre „Roja“ gegen „la Mannschaft“ gesehen. Was hätte es Schöneres geben können, als den krisengeschüttelten Nationalstolz mit einem Sieg gegen Deutschland aufzupolieren? Doch die Ehre, es „la Merkel“ gezeigt zu haben, fiel nun den Italiener zu. Bleibt die Genugtuung, dass – egal wer am Sonntag gewinnt – die Besten aus dem Süden kommen.

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