© 2012 Reiner Wandler

"Die spanische Zentralbank hat völlig versagt."

Interview mit Borja Mateo (34), Bilbao, Spanien Wirtschaftswissenschaftler und Autor.
Sie haben ein Buch mit dem Titel „Wie überlebe ich den Immobiliencrash“ veröffentlicht. Darin stellen sie die These auf, dass das Platzen der Spekulationsblase eine große Chance für Spanien sei. Können Sie das erklären?
Bisher wurde das ganze Geld, die ganzen Ersparnisse, in die Bauindustrie investiert, da dies sehr hohe Gewinne versprach. Dabei ist das eine Branche mit niedriger Produktivität und ohne Zukunftsperspektive. Das Geld fehlt in anderen Bereichen, in Zukunftsinvestionen und Forschung. Wenn sich ein Land hingegen wirtschaftliche Aktivitäten wie der Industrie widmet, ist dies mit einer ständig wachsenden Produktivität verbunden. Die Automobilindustrie in Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür. Trotz sinkender Stückkosten steigen die Löhne. In Spanien ist das nicht so. Die Art von Wirtschaft, die wir haben, führt nur dann zum Wachstum, wenn sie ist eine Spekulationsblase kreiert.
Warum steuert die Politik nicht dagegen?
Den Staat interessieren die Spekulationsblase. Das schafft sehr schnell sehr viele Arbeitsplätze. Dies wiederum führt zu höheren Steuereinnahmen. Der Staat konnte so seinen eigenen Einfluss ausweiten, in dem zum Beispiel mehr Beamte eingestellt werden.
In den Jahren des Baubooms waren die Zinsen für die Kredite niedriger als die spanische Inflation? Wie kann eine Bank da verdienen?
Die Banken und Sparkassen waren direkt am Baugeschäft beteiligt. Und natürlich verdienten sie auch mit den Krediten Geld. Die Inflation war schließlich nicht überall in Europa gleich hoch. In Spanien war die Inflation hoch, weil alles in den Konsum floss. In Deutschland hingegen war sie viel niedriger, dank der Investitionen in die Produktion. Die steigende Produktivität lässt die Preise sinken, das wirkt der Inflation entgegen. Die spanische Zentralbank hat völlig versagt. Sie unternahm nichts gegen diese Kreditschwemme, ganz im Gegenteil. Das ist ein Beispiel, an dem zu sehen ist, dass wir eine Fiskalunion und eine Bankenunion brauchen.
Jetzt kommt die Rechnung: Spanien braucht für die Rekapitalisierung seiner Banken und Sparkassen bis zu 62 Milliarden Euro aus Brüssel.
Das ist sehr optimistisch. Die beiden Beraterfirmen, die im Auftrag der Regierung die Banken und Sparkassen unter die Lupe genommen haben, gehen von einem Verfall der Wohnungspreise von 36 Prozent aus. Das erreichten wir bereits im vergangenen Jahr. Jetzt sind wir bei 44 Prozent angekommen. Uns sie werden weiter fallen. Sicherlich um bis zu 60 Prozent im Vergleich zum Spitzenjahr 2006. Ich gehe davon aus, dass letztendlich 130 bis 150 Milliarden notwendig sein werden, um den Finanzsektor zu retten.
So viel?
In den beiden Berichten ist davon die Rede, dass die Banken toxische Aktivposten, das heißt Immobilien und Grundstücke, geschickt in der Bilanz versteckt haben. Außerdem sind viele Immobilien völlig überbewertet. Die Banken beschönigten ihre Situation, indem sie den Wert um zehn Prozent höher ansetzten. Das ging solange gut, wie die Preise dank der Spekulationsblase tatsächlich Jahr für Jahr stiegen. Das Dogma lautete: Die Wohnungspreise fallen nie. Seit der 1970er Jahren bis zum Ausbruch der jetzigen Krise war das ja auch so.
Das heißt die Banken sind ihren eigenen Lügen aufgesessen, der gleichen Logik mit der sie völlig überhöhte Hypthekenkredite vergeben haben, die nicht nur die Wohnung abdeckten, sondern auch noch die Möbel, ein Auto, die Flitterwochen?
Ja, sie gingen sich selbst in die Falle. Die Spanische Zentralbank hätte rechtzeitig einschreiten müssen. Sie hätte die Banken und Sparkassen zwingen müssen, die Immobilienwerte in den Bilanzen an die Realität anzupassen.
Das Ergebnis sind knapp fünf Millionen Wohnungen, die leer stehen oder sich im Bau befinden. Dass so etwas passiert sagt sicher auch etwas über die Mentalität der Spanier?
Ganz sicher. Ein erfolgreiches Leben führt, wer eine Eigentumswohnung besitzt und im öffentlichen Dienst arbeitet. Sich selbst zu verwirkliche, kreativ zu sein, ein Unternehmen zu gründen, etwas zu riskieren, das passt nicht in das allgemeine Bild.
Was passiert mit den Immobilienpreisen, sobald die Banken und Sparkassen gezwungen werden die toxischen Aktivposten auszulagern und zu verkaufen?
Das wird zu einem noch stärkeren Preisverfall führen. Deshalb will die Regierung den Banken 20 Jahre einräumen, um die Immobilien abzustoßen. Sollten die Banken und Sparkassen gezwungen werden, die Immobilien schneller an den Markt zu bringen, gehen die meisten Institute bankrot. Spanien befindet sich in einer sehr kritischen Lage. Dass das Land nicht als ganzes unter den Rettungsschirm ging, hängt damit zusammen, dass die Regierung versucht bestimmte Interessen zu wahren. Ich bin mit der Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einverstanden. Sie ist sehr hart. Aber Spanien braucht starken Druck von Aussen, damit das System reformiert wird.
Das Kosten müssen jetzt die Familien tragen.
Ja. Die Wohnungen haben über 40 Prozent ihres Werts verloren. 2006/2007 stellte das Wohnungseigentum 80 Prozent des Vermögens der Spanier. Das heißt bereits jetzt wurde ein Drittel des Vermögens der spanischen Familien vernichtet. Wenn die Wohnungspreise bis zu 60 Prozent fallen, sind zwei Drittel des Vermögens verloren. Das Vermögen, dass die Familien am Höhepunkt der Spekulationsblase hatten, werden wir nie wieder erreichen. Dazu wäre ein Zuwachs von 200 Prozent nötig. Das ist unmöglich.
Aber die Schulden bleiben?
Genau hier liegt das Problem.
Warum wird ein Rettungspaket für die Banken geschnürt, während die Bürger auf ihren Schulden sitzenbleiben?
Das ist ein sehr interessanter Punkt. Wenn die Banken gerettet werden, haben die Bürger auch Anspruch darauf. Es muss irgendwann auch einen teilweisen Schuldenerlass für die Bürger geben. Und wir brauchen eine stärkere Kontrolle der Macht. Das heißt die Regierenden müssen strafrechtlich verantwortlich sein, für das was sie tun. Ich reden nicht nur von der Korruption, die in Spanien in den Jahren des Baubooms zugenommen hat. Eine Spekulationsblase führt auch zu mehr Steuereinnahmen. Es ist nicht nur der Liberalismus, der für die Spekulation verantwortlich ist. Die Hauptverantwortung trägt der Staat, der ganz direkt die Spekulation begünstigt hat.
Und wenn Spanien das Bankensystem einfach zusammenbrechen lassen würde, um bei Null anzufangen, so wie in Island?
Bhhh, Spanien ist viele größer als Island. Hinzu kommen unzählige Interessengruppen in der Wirtschaft, den Regionen … das Bildungsniveau ist viel niedriger. Ein Prozess wie in Island ist in Spanien nur schwer vorstellbar.
Woher kommt dann Ihr eingangs angesprochener Optimismus?
Wir werden künftig weniger in Wohnungen investieren müssen. Die Entwicklung begann 1973. Damals gab eine Familie fünf Jahreseinkommen für eine Eigentumswohnung aus. 2006 waren es 15 Jahreseinkommen. Einen Wohnungskredit über 20 bis 30 Jahre aufzunehmen, damit dir was zum Leben bleibt, ist verrückt. Das ist eine neue Art von Sklaverei. Das hat die ganze Gesellschaft gelähmt. Die Familien hatten fast nur noch Geld für den Wohnungskredit. Und die Banken investierten nicht mehr in neue Technologien, in Forschung, in produktive Industrie, sondern in Dinge, die keinerlei nachhaltigen Wert haben. Eine Wohnung, die in 20 oder 30 Jahren abbezahlt wird ist totes Kapital. Ein Kredit, der für den gleichen Zeitraum an ein Unternehmen für neue Maschinen vergeben wird, ist produktiv. Das ist nun Geschichte. Das Geld fließt nicht mehr in eine Spekulationsblase. Das ist für mich die große Neuigkeit.

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