© 2012 Reiner Wandler

Von der Informatik zur Braukunst

Computer gegen körperlich, harte Arbeit, einen Schreibtisch im geräumigen Büro gegen eine Fabrikhalle mit einem Stuhl und einem Tisch in einer Ecke, über 6.000 Euro netto im Monat gegen 1.500 Euro … das ist der Tausch den David Castro machte. Und er ist zufrieden. Das ehemalige Vorstandsmitglied in einem der großen spanischen Informatik- und Technologieunternehmen braut seit knapp einem Jahr Bier. Er sieht sich nicht als Krisenopfer. Aber ohne die derzeitige Wirtschaftslage – Spanien steckt in der Rezession – wäre er wohl nicht so schnelle auf die Idee gekommen, ganz neu zu beginnen.

„Man muss loslassen können, solange dies möglich ist“, lautet die Lebensphilosophie von Castro. „In meinem Beruf wirst du nicht alt“, berichtet der 40-jährige Informatiker. Er war ganz oben, in der Vorstandsetage eines der wichtigsten Informatik- und Technologieunternehmen Spaniens. Immer wieder kam es zu Fusionen und Übernahmen. Firmen verschwanden. Nicht nur normale Mitarbeiter, auch leitende Angestellte mußten gehen. Die Krise beschleunigt diesen Reigen noch. „Mitte 40, spätestens mit 50 ist Schluss. Sie setzen dich einfach auf die Straße. Junges Personal ist gefragt“, weiß Castro.

Bei der letzten Fusion blieben von 23 leitenden Angestellten ganze 2 übrig. Castro war einer davon. „Doch ich wollte einfach nicht warten, bis es eines Tages auch mich erwischt“, beschloss er und schmiss hin. „Das Risiko vorverlegen“, nennt er diese drastische und zugleich mutige Entscheidung mitten in der Krise.

„Ich überlegte mir, was ich kann“, berichtet Castro. Drei Dinge standen zur Auswahl. Der knapp zwei Meter große, kräftige Mann ist Sporttaucher und hat eine Lehrerlizenz. „Das mag ja mit Ende 30 ganz attraktiv sein. Doch mit 50 oder gar 60?“ Er strich diese Option von der Liste. Außerdem schlägt sein Herz für Leichtflugzeuge. „Ein Start- und Landeplatz mit Verleih. Doch da bist du auf Tourismus angewiesen. Und der ist konjunkturabhängig.“ Diese Möglichkeit schied ebenfalls aus. „Blieb mein ungewöhnlichstes Hobby: Das Bierbrauen.“ Seit Jahren produziert Castro auf dem heimischen Herd sein eigenes Gebräu. Erst waren es 20 Liter die Woche, bald schon 150 Liter. „Ich versorgte Verwandte und Freunde“, erzählt er. „Denen schmeckte es. Und getrunken wird immer.“

Gesagt getan. Mit seiner Abfindung und mit Hilfe der Investitionen von drei Freunden und einem Kredit suchte er eine Werkhalle in einem Vorort westlich von Madrid und setzte sein Wissen in einen industriellen Prozess um. Der Kochtopf wich einem großen Kessel. „Das ganze Design der Produktion habe ich selbst entworfen“, sagt er stolz bei einer Führung durch die Halle.

„Den Weg legt man hinter sich, in dem man geht“, zitiert Castro ein altes spanisches Sprichwort, als Antwort auf die Frage, wie er all das gelernt hat. Der 40-jährige aus der Madrider Altstadt ist der geborene Autodidakt, ob beim Bierbrauen oder bei der Informatik. „Mit 16 hackte ich Videospielen. Das war mein erster Schritt in die Informatik“, berichtet er. Ein Job hier, ein Job dort, Castro brachte es in den neuen Technologien ganz nach oben „ohne Studium, ohne Berufsausbildung“. Auch das Bierbrauen lernte er selbst. „Ich suchte im Internet und las Bücher“, erzählt Castro. Eigentlich sei es ganz leicht: „Gerste, Hefe, Hopfen, Wasser … das kann jedee.“ Nach einer kurzen Pause fügt er dann hinzu. „Es ist wie mit dem spanischen Reisgericht Paella. Die Zutaten sind denkbar einfach, doch den richtigen Punkt erwischen, das ist die Kunst.“

1200 Liter seines Biers La Cibeles – benannt nach der Göttin der Getreides, der in Madrid ein Brunnen mitten im Stadtzentrum gewidmet ist – produziert und verkauft Castro mittlerweile täglich. 13 Sorten hat er im Angebot. „Alles außer Lager und Pils. Das machen ja die Anderen, die Großen“, winkt er ab: Weizenbier – „irgendwo zwischen dem deutschen Weißbier und dem belgischen Blanche“ – Pale Ales und Indian Pale Ales – „wie die Britten und die Amerikaner“ – ein Dunkles – „wie in Deutschland“ …

Gerste und Weizen kommen aus Zentralspanien, der Hopfen aus dem spanischen Norden sowie aus Deutschland und Belgien. Die Hefe stammt ursprünglich aus unterschiedlichen europäischen Bierländern. Jetzt züchtet der Chef von La Cibeles sie selbst. Und natürlich braut Castro – dessen Lieblingsbier ein Weißbier aus dem bayrischen Kehlheim und ein Pale Ale aus Brooklyn sind – nach dem deutschen Reinheitsgebot. „Bis auf eine Sorte“, gibt er zu. In dieses Bier kippt Castro neben Hopfen, Wasser und Malz auch die süßen Früchte des Madroño, dem Erdbeerbaum aus dem Stadtwappen von Madrid. Lokalpatriotismus verpflichtet.

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