© 2012 Reiner Wandler

Gegen Wind und Wetter

Spaniens Windbranche hat nur einen Wunsch: „Auf Sicht fahren!“ Seit Monaten, wenn nicht Jahren, haben die Unternehmen das Gefühl im Nebel zu stochern. Ende 2012 laufen alle Regelungen aus. Das bedeutet Unsicherheit für weitere Investitionen. Die im November abgewählten Sozialisten traten zwar in Verhandlungen über das was von 2013 bis 2020 gelten soll ein. Zu einer Einigung kam es allerdings nicht. Und wer Hoffnungen auf die Konservativen unter dem neuen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die seit Dezember die Geschicke Spaniens lenken, setzte, erlebte jetzt ein böses Erwachen. Industrieminister José Manuel Soria setzte per Dekret „vorübergehen, bis zu einer umfangreichen Reform des Strommarktes“ die Sondereinspeisevergütungen für Erneuerbare Energien aus. Das betrifft alle Anlagen, die noch nicht im Register eingetragen sind. Einem schlechten Windjahr 2011 wird ein noch schlechteres 2012 folgen. Daran zweifelt niemand mehr.

Die vom Windverband AEE veröffentlichte Jahresbilanz spricht für sich. 2011 wurden nur Windparks mit 1050 MW installiert. Das ist ein Zuwachs von 5,1 Prozent. Zum Vergleich: 2010 wurden 1.515 MW errichtet. Bereits damals war dies ein Rekordtief. Denn im Boomjahr 2007 lag der Zuwachs bei 3.518 MW. Die installierte Gesamtleistung beträgt damit in Spanien Ende 2011 21.673 MW.

Im Register sind nur weitere 1.903 MW eingeschrieben. Davon haben laut AEE die Hälfte ernsthafte Schwierigkeiten fristgerecht vor Ende des Jahres gebaut zu werden, „aus Gründen, die nicht den Betreibern zuzuschreiben sind, wie zum Beispiel Verzögerungen beim Ausbau des Transport- und Verteilernetzes, oder Problemen der Verwaltung, oder aus wirtschaftlichen Gründen“. Ein schlechtes Omen für einen Markt, der um das gegenüber Brüssel angekündigte Ziel von 35.000 MW bis 2020 pro Jahr 1450 MW installieren müsste.

„Die vorübergehende Aussetzung der Sondereinspeisevergütung bring uns endgültig in Schwierigkeiten“, beschwert sich Heikki Willstedt, Direktor für Energiepolitik bei AEE. Keiner weiß wie lange „vorübergehend“ dauern wird, und wie die angestrebte Reform des Strommarktes aussehen könnte. Gespräche der Branche mit der Regierung gab es bisher keine. Bei Redaktionsschluss sah es so aus, als könnte der Dialog Ende Februar, Anfang März aufgenommen werden. Von einem geht Willstedt aus: „Das Dekret ist keine Time Out wie beim Basketball. Es ist ein Einschnitt. Es wird ganz klar ein System vor dem Dekret und ein völlig anderes danach geben.“

Mangels Informationen aus dem Industrieministerium, wo sich – so das Aussage auf Nachfrage durch Neue Energie – der Staatssekretär für Energie noch immer einarbeitet, lesen die Vertreter der Branche im Kaffeesatz, oder besser gesagt in den Studien der Stiftung der konservativen Regierungspartei Partido Popular (PP) FAES unter Vorsitz des früheren Ministerpräsidenten José María Aznar. Die den amerikanischen Republikanern nahestehenden rechten Ideologen Spaniens fordern in einem Strategiepapier aus 2011 ein Moratorium für Erneuerbare Energien, sowie eine völlige Streichung der Sondereinspeisevergütungen vor, um so die Stromtarife niedrig zu halten. Im Modell der FAES soll die Leistung, die künftig an erneuerbaren Energien errichtet wird, versteigert werden. Wer den niedrigsten Kilowattstunden-Preis anbieten kann, bekommt den Zuschlag.

Bei AEE bezweifeln sie, dass dies funktioniert. „In vielen Ländern, in denen dieses Modell zur Anwendung kam oder noch kommt, werden letztendlich nur ein Bruchteil der versteigerten Leistung tatsächlich errichtet“, warnt Willstedt. Der Druck billig zu sein, würde die Anlagen oft unter die Rentabilitätsgrenze treiben. Letztendlich würden die Betreiber dann auf den Bau verzichten. „Mit Versteigerungen besteht die Gefahr, dass nur ein Zehntel von dem gebaut wird, was gebraucht wird, um das Ziel für 2020 von 35.000 MW zu erfüllen“, mahnt Willstedt.

Der Windverband erhält überraschend aus den spanischen Regionen Unterstützung gegen die Aussetzung der Sondereinspeisevergütungen durch Madrid. Nicht nur die von den Sozialisten geführte Landesregierung Andalusien protestiert, auch diejenigen autonomen Regionen, die wie die Zentralregierung in Hand der konservativen PP sind, machen ihrem Unmut Luft und fordern von Ministerpräsident Rajoy und seinem Industrieminister Soria zum Thema gehört zu werden – allen voran Extremadurien und Galicien.

Die Regionalpolitiker sehen ihre wirtschaftliche Entwicklung gefährdet. Die andalusische Landesregierung in Sevilla fürchtet – alle Erneuerbaren Energien zusammengenommen – um Neuinvestitionen von 14 Milliarden Euro, sowie um 51.000 Arbeitsplätze, die dadurch entstehen sollen.

Im benachbarten Extremadurien geht es um Windparks mit einer Gesamtkapazität von 1.691 MW. Sie wurden öffentlich ausgeschrieben und der Zuschlag bereits vergeben. Die Landesregierung rechnet mit Investitionen von rund 5 Milliarden Euro. Neben Steuereinnahmen soll die Windbranche über 5.000 Arbeitsplätze in der armen Region schaffen.

Und im nordwestspanischen Galicien stehen nachdem eine erste Ausschreibung wegen undurchsichtiger Vergabekriterien nach Protesten der Branche annulliert und gegen eine zweite Ausschreibung geklagt wurde, 2.300 MW zur Vergabe. Es geht um ein Investitionsvolumen von mehr als 3,5 Milliarden Euro.

Das Dekret von Industrieminister Soria gefährdet all diese Pläne. „Eine mögliche Versteigerungen von Kapazitäten und die bisherige regionalen Ausschreibungen sind zwei Systeme, die diametral entgegengesetzten Logiken folgen“, warnt AEE-Mann Willstedt. Denn bei Versteigerungen ginge es darum, die Kosten soweit wie nur möglich zu drücken, während bisher die Regionen dem den Zuschlag gaben, der am meisten zu bieten hatte. Dies beinhaltet – wie im Falle Galiciens – eine Regionalabgabe auf Windparks, oder in anderen Fällen die Zusagen zu weiteren, selbst branchenfremden Investitionen oder den Bau von öffentliche Einrichtungen vor Ort. „Der sogenannte Industrieplan, den viele Regionen verlangen kann bis zu zusätzlich eine Million Euro pro MW kosten“, weiß der AEE-Mann.

Trotz der verfahrenen Situation halten sich die großen der Branche mit Kritik an der Politik von Industrieminister Soria zurück. „Wir sind nicht befugt Erklärungen zum Thema abzugeben“, heißt es sowohl bei Iberdola als auch bei Acciona und EyRa, dem Windunternehmen des Mischkonzerns ACS. Anders als die restlichen Erneuerbaren Energien, die sich zusammengeschlossen haben und laut über eine Klage gegen das Dekret nachdenken (siehe Kasten), setzt die Windbranche auf den Dialog. „Wir sind eine reife Technik, die viel zu bieten hat“, sagt Willstedt, der die großen Energieerzeuger unter den Mitgliedern der AEE weiß.

Doch diese stehen vor einem Dilemma. Sie müssen entscheiden, auf was sie setzen. Auf fossile Brennstoffe und auf die veralteten Atomkraftwerke oder auf Wind. Denn Spanien hat mit über 100 Gigawatt (GW) eine installierte Gesamtkapazität, die mehr als doppelt so hoch ist, wie der Spitzenverbrauch. 33 Prozent der Stromproduktion stammten im vergangenen Jahr aus Wind, Sonne und Wasserkraft, 31 Prozent aus Gas und Öl, 21 Prozent aus den AKWs und 15 Prozent aus heimischer Kohle.

Irgendwo muss ein Einschnitt erfolgen. „Wir reden nicht über andere Branchen“, weißt Willstedt die Frage danach zurück. Doch die Gefahr nach Verlust von Arbeitsplätzen kennt auch er. Acciona droht mit einem Rückgang der Investitionen in Spanien um 50 Prozent. Ausländische Hersteller von Windgeneratoren überlegen sich ihre Kapazitäten in Spanien abzubauen. Und der heimische Fabrikant Gamesa setzt auf ausländische Märkte, die meisten davon in Übersee. Die Fabriken in Spanien haben innerhalb des Unternehmens an Gewicht verloren. Sie bedienen nur noch 30 Prozent der Kunden. In den Heimatmarkt Spanien gingen 2011 gar nur fünf Prozent der Generatoren.

„Wir hoffen, dass die Regierung im Dialog mit uns zumindest so schnell wie möglich einen Zeitrahmen für eine Neuregelung absteckt“, sagt Willstedt. Ideal wäre das Jahresende. „Wir sehen ein, dass das System reformiert werden muss, aber im Gespräch mit der Branche. Wir haben alle zu verlieren. Nicht nur die Unternehmen“, mahnt Willstedt. Die Windenergie, die zu Spitzenzeiten die Hälfte des Stromverbrauches abdeckt, sei ein wichtiger Faktor im Stromsystem und für die Wirtschaft. „Du brauchst eine Branche, die Arbeitsplätze schafft und die Wirtschaft ankurbelt, wenn du 2014 wieder die Wahlen gewinnen willst“, fügt der AEE-Direktor hinzu./ Erstveröffentlichung: Neue Energie 3/12

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