© 2012 Reiner Wandler

Eine Frau erobert Madrid

Alle reden über das Lächeln. „Anders, irgendwie anders“, meint ein älterer Herr aus den USA. „Sympathischer“, entgegnet seine Frau. Ein Spanier findet die abgebildete Dame „schöner als das Original“. „Schöner? Jünger auf jeden Fall“, entgegnet sein Begleiter.

Es ist kein Massenansturm, mehr ein ständiges Kommen und Gehen im Museo del Prado in Madrid. Dort hängt im Saal Nummer 49 die Mona Lisa. Nicht etwa die von Leonardo da Vinci. Die zieht nach wie vor Tag für Tag Tausende im Pariser Louvre an. Es ist eine Kopie, die die Spanier entdeckt haben. Sie gleicht dem Original verblüffend. Und – das besondere an ihr – sie ist wohl das Werk eines der Schüler des bekanntesten Renaissancemalers und Universalgelehrten aus der Toskana. Das Bild – so sind sich die Spezialisten in Madrid einig – wurde zeitgleich mit dem Original gemalt. Im gleichen Atelier, Pinselstrich für Pinselstrich. Es wird von den Restauratoren des Prado einem der beiden Schüler da Vincis, seinem späteren Geliebten Andrea Salai oder Francesco Melzi zugeschrieben.

„Kurios“, lautet das Urteil so manchen Besuchers, nachdem Lesen der Geschichte der Entdeckung. Denn die jetzt so prominent ausgestellte Mona Lisa, ist seit der Eröffnung des Prados 1819 in dessen Besitz. Sie stammt aus der Sammlung des spanischen Königshauses und wurde 1666 erstmals in einer Inventarliste erwähnt. Das Bild hing schon immer im Museum, etwas versteckter als heute, ohne großes Interesse zu wecken.

Es handelte sich um eine relativ anschauliche Kopie der Mona Lisa, aber um mehr auch nicht. Denn der Hintergrund des Bildes war eine dunkle, hässliche Fläche. Ausgerechnet eine Anfrage aus Paris, das Gemälde auszuleihen, brachte die spanischen Restauratoren auf die Spur. Sie untersuchten das Bild, um ein Gutachten vor dem Transport zu erstellen. Infrarotaufnahmen und Röntgenuntersuchungen ergaben dann, dass sich unter dem dunklen Lack die gleiche Landschaft befand, wie beim Original von Da Vinci. „Der Lack wurde, so wissen wir jetzt, 250 Jahre nach der Entstehung des Gemäldes aufgebracht“, erklärt der Chef der Abteilung für italienische und französische Malerei am Prado, Miguel Falomir Faus.

Nach und nach wurde die dunkle Farbe entfernt. Was hervorkam, ist fast identisch mit dem, was auf Da Vincis Original zu sehen ist. Und mehr noch. Das Bild weißt Änderungen und Nachbesserungen auf, die auch Da Vinci an seinem Original vorgenommen hat. All das lässt auf die zeitgleiche Entstehung schließen. „Der Wert der Kopie? Es ist natürlich kein Meisterwerk. Nichts deutet darauf hin, dass auch nur ein einziger Pinselstrich von Da Vinci stammt. Aber das Bild lädt uns ein, das Original mit neuen Augen zu betrachten“, sagt Falomir Faus, der eingesteht, dass eine der großen Lücken der spanischen Pinakothek das Fehlen eines originalen Da Vinci ist.

Der Hype um die Mona Lisa lässt Spanien nicht mehr los. Radio, Fernsehen, Presse … alle reden von der großen Entdeckung. „Eine Mona Lisa nach einem umfangreichen Lifting“, jubelt die Feuilletons. Die Kopie ist wesentlich besser erhalten als das Original und zeigt Details, wie Augenbrauen und Wimpern, die bei Da Vincis Gemälde nicht zu sehen sind. Ob dies Rückschlüsse auf das Werk des Meisters zulässt, ob dieser auch so detailverliebt war und der Alterungsprozess schuld an dem Fehlen der Augenbrauen ist, die Spekulationen haben begonnen und werden wohl so schnell nicht abreißen.

Bis zum 13. März wird die spanische Mona Lisa im Prado noch zu sehen sein. Dann reist sie für mehrere Monate nach Paris, um im Louvre ausgestellt zu werden, direkt neben dem Original. „Das würde ich gerne sehen“, meint der Besucher aus den USA. „Vielleicht klappt es ja“, sagt seine Frau. Eine erneuter Europatripp ist für Mai bereits geplant.

Ein Franzose, der in Madrid lebt, sieht es gelassener. Für ihn ist der Rummel um die Kopie aus dem Prado „Marketing“. Spanien und Frankreich seien große Kunstmärkte und ständige Rivalen auf vielen Gebieten. „Eines ist doch klar. Keiner wird extra nach Madrid Reisen, um im Prado die Kopie zu bestaunen. Während viele Touristen den Louvre eigens besuchen, um Da Vincis Gemälde zu sehen“, fügt er dann hinzu. Nach einer kurzen Pause meint er. „Sehen ist relativ, denn da sind immer so viele Besucher, dass du gar nicht nahe herankommst.“ Vielleicht macht gerade das den Reiz der Kopie im Prado aus. Sie hängt zum Greifen nahe und erstrahlt dank der geschickten Restauration in lebendigen Farben, als wäre das Gemälde eben erst entstanden.

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