© 2012 Reiner Wandler

Zwischen Zen und Wissenschaften

Der Herr über das X ist tot. Spaniens bekanntester zeitgenössischer Maler und Bildhauer, Antoni Tàpies starb in der Nacht auf Montag in Barcelona im Alter von 88 Jahren. Er hinterlässt über 8.000 Bilder und Skulpturen. Sand, Farben, Spray, Kollagen mit Stoff, Papier, anderem Alltagsmaterial … und immer wieder das X. Halb Kreuz, halb Buchstabe steht es für Spiritualität und Mysterium. Tàpies war ein Philosoph mit Pinsel, ein Anhänger der Naturwissenschaften mit Spachtel, ein Poet mit Farbe, ein Zen-Buddhist mit Meißel …

Geboren 1923 in Barcelona – sein Vater ein namhafter Anwalt, seine Mutter aus einer nationalistischen, katalanischen Buchhändlerfamilie – fand er früh zur Literatur und zur Malerei. Mit 18, durch eine schwere Krankheit ans Haus gefesselt, begann er, erst figurativ, realistisch und dann immer abstrakter zu malen. Es war die avanguardistische Poesie seiner Jugend, der Dadaismus, der den jungen Autodidakten ebenso beeinflusste wird der Jazz. Nach dem spanischen Bürgerkrieg suchte er Kontakt zu anderen Großen seiner Zeit. Er lernte Miró kennen und schätzen, besuchte Picasso in Paris, schwärmte für Antonio Gaudi, Paul Klee und Max Ernst.

Tàpies entwickelte seinen so eigenen, unverkennbaren Stil. „Ich interessierte mich für die Materie an sich. Ich trug immer mehr Material auf. Nach und nach wurden meine Bilder dreidimensional“, erklärte er seinen Werdegang. „Die Kunst ist eine Quelle der Erkenntnis, wie die die Wissenschaften und die Philosophie. Wenn die Formen nicht in der Lage sind, die Gesellschaft, an die sie gerichtet sind, zu verletzen, sie zu irritieren, sie zur Meditation zu bewegen, wenn sie nicht abstoßen, dann ist es kein Kunstwerk“, lautete sein Motto.

Und er provozierte gerne. Mitte in der Franco-Diktatur begann er politisch Stellung zu beziehen. Wörter auf in der unterdrückten, katalanischen Sprache tauchten ebenso in seinen Kollagen auf, wie die rot-gelbe Nationalfarben seiner Heimatregion rund um Barcelona. Die Teilnahme an einem Oppositionstreffen brachte ihn gar für kurze Zeit hinter Gittern.

Heute ist Tàpies einer der am meisten ausgezeichneten Künstler Spaniens. Nationale und internationale Preise wurden ihm zu Teil. Spaniens König Juan Carlos ernannte ihn gar zum Marquis, ein Ehrentitel, der dem englischen Sir gleich kommt.

Tàpies war schon zu Lebzeiten der am meisten ausgestellte spanische zeitgenössische Künstler. Ob das Guggenheim oder MOMA in NewYork, die Neue Nationalgalerie in Berlin, die Tate in London, das Centre Pompidou in Paris, alle widmen sie dem Katalanen Säle. Bis zum Schluss malte er unaufhörlich, treu seiner avanguardistischen Linie. „Ich bin nie zufrieden. Ich suche immer nach einem besseren Bild“, erklärte er diese innere Unruhe.

Ob der jungen Malergeneration war er eher skeptisch. Die Marktmechanismen hätten zu großen Einfluss wenn es um die Bewertung der Kunst gehe, beschwerte sich Tàpies. „Doch die Malerei wird nicht sterben. Sie muss sich erneuern. Es wird immer ein Verrückten geben, dem es gefällt den Pinsel in die Hand zu nehmen und Farben zu mischen“, heißt sein Vermächtnis an die Nachwelt. /Fotos: canalhub.fotos und Canaan

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