© 2011 Reiner Wandler

Algeriens Islamisten wollen an die Macht

Nach den Wahlsiegen ihrer Gesinnungsgenossen in Tunesien, Marokko und Ägypten sehen sich auch die Islamisten in Algerien im Aufwind. „Die algerische Gesellschaft will von Islamisten regiert werden“, gibt sich Bouguera Soltani nur ein halbes Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen selbstsicher. Der 57-Jährige ist Chef der Gesellschaftlichen Bewegung für den Frieden (MSP). Die einst unter dem Namen Hamas gegründete Formation sitzt zusammen mit der historischen Unabhängigkeitspartei FLN und deren Abspaltung RND seit 1997 in der Regierung. Der aktuelle Handelsminister und sein Kollege für Öffentliche Arbeiten kommen aus ihren Reihen. 52 der 389 Abgeordneten im algerischen Parlament gehören der MSP an.

Nachdem Soltani im November den Gründer der in Tunesien siegreichen Ennahda, Rachid Ghannouchi, empfing und dessen öffentliche Unterstützung erhielt, ist sein Optimismus durch nichts mehr zu bremsen. „Wenn die nächsten Wahlen sauber über die Bühne gehen, werden wir sie gewinnen“, prophezeit er. 2014 will er sich gar um die Nachfolge des altersschwachen Staatschefs Abdelaziz Bouteflika bewerben. Um die Wähler zu überzeugen versucht Soltani mit seiner MSP den Spagat zwischen einem verantwortungsbewussten Koalitionspartner und der Stimme der religiösen Opposition. Einige der konservativsten Gesetze, wie das zum Verbot der Einfuhr von Alkohol, gehen auf Initiativen der MSP zurück.

Soltani ruft zur Einheit aller Islamisten. Bisher ohne Erfolg. „Sie interessieren mich nicht“, antwortet der bekannte Islamist Abdallah Djaballah, der 1999 und 2004 gegen Staatschef Bouteflika bei den Präsidentschaftswahlen antrat. Auch Mohamed Said, ein anderer gescheiterter islamistischer Präsidentschaftskandidat (2009) erteilt der MSP eine Absage.

Djaballahs Front für Gerechtigkeit und Entwicklung (FJD) und Saids Partei für Gerechtigkeit und Freiheit (PJL) bereiten für 2012 ihre eigenen Kandidaturen vor. Nach der Verabschiedung eines neuen Parteiengesetzes am vergangenen Dienstag werden sie ihre Zulassung beantragen. Das Innenministerium, das seit der Einführung des Mehrparteiensystems Ende der 1980er Jahre, keine neuen Formationen mehr genehmigt hat, muss binnen 60 Tage über die Anträge entscheiden. Sowohl Djaballah als auch Said hoffen auf die Unterstützung von ehemaligen MSP-Mitgliedern, die Soltanis Partei aus Kritik an der Regierungsbeteiligung den Rücken gekehrt haben.

„Die arabischen Länder haben alle politischen Theorien ausprobiert, vom Kommunismus im Sudan, der Marxismus im Süd-Jemen, die Baas-Theorie, der wirtschaftliche Liberalismus; jetzt kommen die islamistischen Bewegungen. Ich denke, dass die arabo-islamischen Gesellschaften bereit sind, diesen Bewegungen ihre Chance zu geben“, erklärt Said. Wie seine beiden Kollegen Soltani und Djaballah hat er die Wähler der ehemaligen Islamischen Heilsfront (FIS) sowie die durch die hohe Arbeitlosigkeit frustrierte Jugend im Visier. Die FIS gewann 1990 die Kommunalwahlen und 1991 die Parlamentswahlen. Das Militär brach daraufhin den demokratischen Prozess ab und drängte die FIS in den Untergrund. Beim bewaffneten Konflikt zwischen Armee und Islamisten verloren in den 1990ern 200.000 Menschen ihr Leben.

Die FIS wird im neuen Parteiengesetz explizit vom politischen Leben Algeriens ausgeschlossen. „Allen Personen, die für die Nutzung der Religion, die zur nationalen Tragödie geführt hat, ist es verboten eine politische Partei zu gründen oder an der Gründung teilzunehmen“, heißt es. Das gleiche gilt für „alle Personen, die an terroristischen Akten beteiligt waren.“

„Das Gesetz trägt nichts Neues bei. Es wurde nur dazu vorbereitet, um die Rückkehr der FIS zu verhindern“, beschwert sich ein Angeordneter aus Soltanis Reihen. Die MSP stimmte gegen das Projekt ihre Regierungspartner FLN und RND. Soltani würde einmal mehr „mit den Wölfen tanzen und mit den Schafen weinen“, schreibt die algerische Tageszeitung L’Expression.

Was bisher geschah: