© 2011 Reiner Wandler

Hamadi Jebali: Kalifat oder II. Republik

Es ist eine steile Karriere. Kurz nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali empfing der 61-jährige Hamadi Jebali die Presse überall und nirgends. Ein in die Jahre gekommener PKW diente dem Generalsekretär der islamistischen Ennahda als Büro. Der Ingenieur und Eigentümer eines Unternehmens für erneuerbare Energien pendelte ständig zwischen seinem Heimatort, der Touristenhochburg Sousse, und der Hauptstadt Tunis. Das Handschuhfach war so etwas wie eine Telefonzentrale. Vier Handys klingelten dort ständig.

Jetzt wird Jebali in den prunkvollen Regierungssitz auf der Kasbah, dem Herzen der Altstadt von Tunis, einziehen. Seine Ennahda wurde bei den ersten freien Wahlen im Oktober stärkste Partei. Der ehemalige Oppositionelle, der 16 Jahre in Haft verbrachte, davon zehn „in einer zwei auf drei Meter großen Zelle, ohne mit jemandem sprechen zu können, ohne Lektüre und ohne Schreibutensilien“, wird zum Staatsmann.

Jebali gehört zu der jungen Generation auf die der Parteivater Ennahdas Rachid Ghannouchi setzt. Hornhaut an der Stirn, dort wo das Gesicht beim Beten den Boden berührt, weißt Jebali als guten Gläubigen aus. Nach einem neun-jährigen Studienaufenthalt in Paris schloss er sich Ende der 1970er der Vorgängerorganisation Ennahdas, der Bewegung der islamischen Tendenz, die sich an den Muslimbrüdern Ägyptens orientierte, an. Sein Amt als Chefredakteur der Parteizeitung Al Fajr brachte ihn 1991 die erste Haftstrafe ein. 1992 wurde er dann „wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation“ und „einem Komplott mit dem Ziel die Staatsform zu verändern“ zu 16 Jahren verurteilt. Nach einem Hungerstreik 2002 wurde er 2006 von Ben Ali begnadigt.

Während in der zweiten Reihe von Alkohol- und Bikiniverbot sowie von Diskriminierung lediger Mütter die Rede ist, und selbst Parteigründer Ghannouchi gegen die frankophonen Eliten wettert, gibt sich Jebali gemäßigt. Die AKP in der Türkei sei sein großes Vorbild. „Ich setze auf den freien Dialog mit allen demokratischen Kräften“, beteuerte er vor den Wahlen und schloss danach ein Bündnis mit zwei sozialdemokratischen Formationen.

Viele weltlich orientierten Tunesier nehmen Jebali diese Aussagen nicht ab. Sie verweißen auf einen der wenigen Ausrutscher des auf sein Image bedachten Politikers. Tunesien befände sich am „Beginn einer neuen Zivilisation, dem sechsten Kalifat“ – also einer Staatsform in der Politik und islamische Religion und Recht eine Einheit bildeten – erklärte er auf einer Veranstaltung. Er habe lediglich „ein Beispiel für gute Regierungspraxis basierend auf Recht und Ethik“ geben wollen, erklärte er nach empörten Reaktionen und Schlagzeilen./Foto: Wikipedia

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