© 2011 Reiner Wandler

Was ist Ennahda?

Wenn Tunesiens Islamisten von einem etwas verstehen, dann ist es politisches Marketing. Der Ennahda-Partei (Partei der Wiedergeburt) ist es gelungen sich als moderat darzustellen und die Revolution der Jugend, die am Januar 2011 den Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali nach 23 Jahren stürzte, für sich zu vereinnahmen. Wer eine der unzähligen Wahlkampfveranstaltungen besuchte, konnte sich davon ein Bild machen.

Ennahda, lange die einzige radikale Opposition zum Regime Ben Alis füllte Sporthallen, ja gar Stadien. Auf der Bühne waren immer gleich viele Männer wie Frauen vertreten, jung wie alt. Das tunesische Wahlgesetz will die Parität bei Kandidaturen. Ennahda hat dies in der Hohen Instanz zur Verteidigung der Revolution mitgetragen und erfüllte das Gesetz gerne, gibt dies doch ein modernes Bild, wie es in Tunesien gewünscht wird. In keinem arabischen Land sind die Frauen so selbstbewusst wie hier.

Geschickt stellte die Partei, die den Aufstand der Jugend verschlief, wie alle anderen alten Kräfte auch, ihre Helden in den Vordergrund. Es sind alles samt und sonders bärtige Herren, die Anfang der 80er Jahre im universitären Umfeld zusammen mit Rachid Ghannouchi erst die Bewegung Islamischer Tendenz und dann Ennahda ins Leben riefen. Sie haben dafür teuer bezahlt. Hunderte wanderten für lange Jahre hinter Gitter oder flohen wie Ghannouchi ins Exil. Bei den Wahlmeetings wurden die Haftjahre immer besonders hervorgehoben. Da wird ein führendes Mitglied, das 18 Jahre abgesessen hat und mehrere Jahre seiner Heimatstadt verbannt wurde, auch schon mal zum „Nelson Mandela Tunesiens“, obwohl er kein Einzelschicksal ist in der Partei, die jetzt die stärkste Kraft des Landes wurde. Rund ein Drittel der Sitze in der neuen Verfassunggebenden Versammlung gehen an sie.

Legalisiert wurde Ennahda am 1. März 2011. Nur sechs Wochen nach dem Sturz Ben Alis. Anders als die restliche Opposition starten die Islamisten mit guten Strukturen in die neue Ära. Eine Million Sympathisanten und Mitglieder will die Formation nach eigenen Angaben haben. Dies sei der Grund für die schier nicht enden wollenden Ressourcen im Wahlkampf. Ihre Gegner glauben, dass das Geld aus Saudi Arabien stammt und die Mitgliederzahlen übertrieben seien, gestehen aber nicht ohne Neid ein, dass Ennahda die größte und am besten organisierte politische Organisation im neuen Tunesien ist. Bereits in den 1980er Jahren, als die Verfolgung einsetzte, breitete sich die Bewegung in den Stadtteilen und Dörfern aus, kümmerte sich um die Angehörigen der Verhafteten, die in den dunkelsten Jahren – im Schatten des Bürgerkrieges im benachbarten Algerien – in die Tausende gingen, ohne, dass der Westen protestierte. Ben Ali galt als Garant für Sicherheit und als Bollwerk gegen die islamistische Welle, die seit der iranischen Revolution die gesamte muslimische Welt ergriff.

Einst beeinflusst von den ägyptischen Muslimbrüdern, hat Ennahda einen erstaunlichen Wandel vollzogen. Anders als die algerische Islamistische Heilsfront (FIS) setzen die Tunesier nie auf Gewalt. Nur eine Brandstiftung in einem Büro der verhassten Regierungspartei Ben Alis, der RCD, 1991 wurde den Ghannouchi-Getreuen zur Last gelegt. Sie gestanden dies später als Fehler ein. Nach der Zulassung im März lehnten führende Ennahda-Politiker in TV-Interviews im In- und Ausland immer wieder einen Gottesstaat islamische Recht, die Scharia, ab und verkündeten die Bürgerrechte respektieren zu wollen. Die Türkei und deren islamistischen Regierung unter der AKP Erdogans gilt offiziell als Vorbild.

Ennahda schwor sich bereits in den Jahren der Klandestinität im Ausland auf die Demokratie ein, und verkündete, die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte uneingeschränkt anzuerkennen. Zu Hause schloss sie mit den Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens (POCT) und der Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) 2005 ein Bündnis gegen die Diktatur.

„Wir werden nicht wie in Algerien aufeinander losgehen. Schließlich waren wir lange im gleichen Kampf gegen die Diktatur“, zeigte sich ein tunesischer Menschenrechtler nach dem Sturz Ben Alis überzeugt. Den Wahlkampf freilich hat dieser Vorsatz nicht überlebt. Die PDP machte explizit gegen die Islamisten Stimmung und Ennahda griff das Thema geschickt auf. Ennahda nutze die Ausstrahlung des Zeichentrickfilmes Persepolis um Tausende auf die Straßen zu mobilisieren. Der Film setzt sich mit der iranischen Revolution und der religiösen Intoleranz auseinander. Eine bildliche Darstellung Gottes musste schließlich als Grund dafür herhalten, gegen Film und Fernsehsender mobil zu machen.

Ennahda gelang es damit sich endgültig von den alten Freunden aus den Zeiten der Diktatur zu lösen. „Dieses sind Eliteparteien, Ennahda die Partei des Volkes“, erklärten Parteisprecher immer wieder. Das da der Vorwurf der Ungläubigen mitschwingt, ist durchaus gewollt. In einer Zeit, in der ein ganzes Volk nach Identität sucht, sind religiöse Gefühle leicht zu nutzen. Ennahda hat dies verstanden.

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