© 2011 Reiner Wandler

Rachid Ghannouchi – der Gründervater

Rachid Ghannouchi ist für seine Anhänger irgendetwas zwischen gütigem, weisem Großvater und Popstar. Egal wo der 70-Jährige auftaucht wird er umringt und bejubelt. Im Wahlkampf füllte er ganze Fußballstadien, vor allem in den Provinzstädten im Landesinneren und im Süden, wie etwa in seiner Heimatstadt Gabès.

Ghannouchi, der am 30. Januar 2011, nur zwei Wochen nach dem Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali aus seinem politischen Exil zurückkam, ist der einzige, wirklich bekannte Politiker in der Wüste, die 23 Jahren autoritäre Macht hinterlassen hat. Dies kommt jetzt seiner Ennahda zu Gute. Der schmächtige Alte mit gepfelgtem, weißem Bart räumte bereitwillig seinen Platz an der Parteispitze der nächsten Generation und fungiert seither als Gründervater und historische Figur seiner Partei.

Der an Universitäten in Tunis, Kairo, Damaskus und Paris ausgebildete Theologe, Philosoph und Agrarwissenschaftler, ist ein geschickter Redner. Er gibt sich gemäßigt, vermeidet Worte wie „Scharia“ und kritisiert schon einmal das Konzept des iranischen Gottesstaates.

Ghannouchi, war nicht immer so. Der Sohn eines Imams, nahm sich die Muslimbrüder Ägyptens zum Vorbild, als er 1981 die Bwwegung der Islamischen Tendenz, die später zu Ennahda wurde, ins Leben rief. Unter dem historischen Präsidenten der tunesischen Unabhängigkeit Habib Bourguiba, ein überzeugter Vertreter eines weltlichen Staates und der Frauenrechte, wurde Ghannouchi 1981 zu elf Jahren Haft verurteilt, von denen er drei Jahre absass. 1987 stand er erneut vor Gericht. Der sanfte Putsch Ben Als gegen Bourguiba rettete ihn vor der Zwangsarbeit.

Doch es wurde kein wirklicher Frühling für Ennahda. Auch Ben Ali erkannte die Bewegung nicht an und ließ sie bald schon gnadenlos verfolgen Tausende wurden in den folgenden Jahren verhaftet, Ghannouchi zu lebenslanger Haft wegen eines angeblich Umsturzplanes verurteilt. Er floh 1990 mit Frau und sechs Kindern nach Algerien. Von den dortigen Gemeindeverwaltungen der Islamischen Heilsfront (FIS) schwärmt er bis heute. Als die algerische Armee die Islamisten nach deren Wahlsieg 1992 verbot, ging Ghannouchi nach England.

In seinem Häuschen in einem Londoner Vorort wurde er zu dem Politiker, der er heute ist. Er schrieb viel und empfing gerne internationale Journalisten – so auch den Autor dieser Zeilen 1999. „Warum soll es keine Islamisch-Demokratische Partei geben? Ihr habt doch auch Christdemokraten“, fragte er damals. Nach dem 11. September stand er erneut Rede und Antwort und räumte den USA „ein Recht auf Selbstverteidigung ein“ und verurteilte „das konservative Islamverständnis Al Qaidas“.

Seit Jahren steht Ghannouchi im Dialog mit der türkischen, islamistischen AKP, die ihm und den Seinen als Vorbild für Tunesien gilt. Seine liberalen Gegner berught all dies nicht. Vor allem der städtischen jungen Bevölkerung und den Frauen flöhst Ennahda Furcht ein. Die Partei Ghannouchis habe einen doppelten Diskurs, befürchten sie. Wesentlich radikalere Aussagen aus der zweiten Reihe der Partei gelten als Bestätigung./ Foto: wikipedia

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