© 2011 Reiner Wandler

Islamisten gegen TV-Sender

Tunesiens gemäßigte Islamisten spielen im Vorfeld der ersten freien Wahlen am kommenden Sonntag mit dem Feuer, die radikaleren Gesinnungsbrüder legen nach. Am vergangenen Freitag riefen die Islamisten nach dem Freitagsgebet zur Demonstration gegen den Fernsehsender Nessma-TV wegen der Ausstrahlung des Zeichentrickfilmes Persepolis mit anschließender TV-Diskussion.

Es war das zweite Mal seit der Privatsender vor einer Woche den in Cannes preisgekrönten Zeichentrickfilm zeigte. Der Streifen, der eigens ins tunesische Arabisch synchronisiert worden war, erzählt die Geschichte eines kleinen, iranischen Mädchens in den Jahren nach der dortigen Revolution, als die Theokraten Stück für Stück die Freiheiten einschränkten und der Gesellschaft ihre traditionellen Werte aufzwänkten. Eine Szene empörte die Islamisten in Tunesien ganz besonders. In ihr wird Gott gezeigt, so wie ihn sich das kleine Mädchen vorstellt. Es ist ein bärtiger, alter Mann auf einer Wolke. „Hau ab, ich mag dich nicht!“ schleudert ihm das Mädchen aus Enttäuschung über die Zustände in ihrem Land entgegen. „Gotteslästerung“ sei dies, so die Islamisten. Nicht nur wegen der Worte, sondern schon alleine wegen der Tatsache, dass Gott bildlich dargestellt wird. Dies ist im Islam verboten.

In vielen Moscheen des Landes predigten die Imame am Freitag gegen Nessma-TV. Der Sender verletze die Gefühle der Gläubigen. In der Hauptstadt Tunis fand die größte Demonstration statt. Mehrere Tausend Menschen – darunter eine größere Gruppe radikaler Salafisten – zogen vor das Kulturministerium, wo es zu Auseinandersetzung mit der Polizei kam. Am selben Abend noch, wurde das Haus des TV-Direktors, Nabil Karoui, mit Brandsätzen angegriffen, Autos zerstört. Die Meute trug Eisenstangen und Messer. Karoui befand sich zum Glück nicht zu Hause. Sechs Angreifer wurden verhaftet.

Es war der bisher schwerste von den Salafisten provozierte Zwischenfall. Bereits am Sonntag vor einer Woche hatten sie versucht zwei Studiogebäude von Nessma anzugreifen. Die Polizei verhinderte dies. Und im Mittelmeerbadeort Sousse kam es zu gewaltsamen Protesten, nachdem der dortige Universitätsdirektor eine Studentin mit schwarzer Ganzkörperverschleierung nicht auf das Gelände ließ.

„Wir treten für Meinungsfreiheit ein“, beteuerte nach den Vorfällen am Freitag umgehend Ennahdagründer Rachid Ghannouchi. Die als moderat geltende, islamistische Partei dürfte aus den Wahlen am kommenden Sonntag als stärkste Kraft hervorgehen. Wer allerdings mit der zweiten Reihe spricht, bekommt anderes zu hören. Die distanziert sich nicht so deutlich. „Es werden doch überall mal Tomaten geschmissen“, beschwichtigt Vorstandsmitglied und Pressesprecher Zouari Abdallah. „Wir werden ja sehen, wer die Verhafteten sind“, spielt er auf eine Verschwörung gegen seine Ennahda an.

Dann wird der langjährige Aktivist, der unter dem im Januar gestürzten Präsident Zine el-Abidine Ben Ali knapp 18 Jahre in Haft saß und sieben Jahre einen Wohnort im dünn besiedelten Süden zugewiesen bekommen hatte, deutlicher. Nessma sei ein „anti arabisch-muslimischer Sender, die Demonstrationen ein Erfolg für seine Partei und ihre Wähler. „Wenn das Volk solche Aussagen nicht für richtig hält, dann können sie auch nicht toleriert werden“, sagt er zur Ausstrahlung des Filmes, denn „man darf nicht die religiösen Gefühle des Volkes verletzen.“ Von Minderheitenschutz will er nichts wissen: „Sie gehen ja auch nicht mit einem Bayern-Trikot in den gegnerischen Block!“

Was bisher geschah: