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Ennahda will regieren

Die islamistische Ennahda erhebt Anspruch auf das Amt des Premierministers der neuen tunesischen Regierung. Das erklärten am Mittwoch sowohl Parteigründer Rachid Ghannouchi als auch Generalsekretär Hamadi Jabali. „In allen Demokratien wird der Generalsekretär der stärksten Partei Regierungschef“, erklärte Jabali, der das Amt einnehmen will. Ennahda sei offen, mit allen Kräften über eine breite Koalitionsregierung zu verhandeln. Die neue Regierung solle spätestens in einem Monat ihre Arbeit aufnehmen.

Auch wenn sich die Unabhängige Wahlbehörde ISIE noch immer mit der Auszählung der letzten Wahlbezirken aufhält und die Verkündigung des endgültigen Ergebnisses des Urnengangs vom vergangenen Sonntag einmal mehr auf Donnerstag Abend verschoben wurde, steht das Ergebnis eigentlich fest. Im Internet wurde von einem tunesischen Nachrichtenblog gar schon die genaue Verteilung für 212 der insgesamt 217 Sitzen in der Verfassungsgebenden Versammlung errechnet.

Ennahda erhält demnach 84 Abgeordneten. Sie hat wohl über 40 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Nummer 2 mit 30 Sitzen ist der Kongress für die Republik (CPR) des aus dem Pariser Exil zurückgekehrten Professors und Menschenrechtlers Moncef Marzouki. Dahinter liegen die neue Partei „Petition des Volkes“ von Mohamed al Hachimi Al-Hamidi, Besitzer des Satelliten-TV Al Mustakilla in London, und die Sozialdemokratische Ettakatol des bekannten Oppositionellen und Arztes Mustapha Ben Jaafar. Sie erhalten 25 bzw. 23 Sitze.

Die Demokratische Fortschrittspartei (PDP) von Nejib Chebbi, die in den Umfragen vor den Wahlen als zweitstärkste Kraft gehandelt wurde, kann nur mit 14 Abgeordneten in die Versammlung einziehen und ist damit der große Verlierer der ersten freien Wahlen in Tunesien. Das Bündnis Demokratisch Modernistischer Pol rund um die postkommunistische Ettajdid von Ahmed Brahim ist mit 6 Sitzen noch weiter abgeschlagen.

Die Sitzverteilung könnte sich vor allem am unteren Ende noch verändern. Denn mehrere Anwälte haben eine Klage auf Annullierung der Petition des Volkes eingereicht. Die Liste von Al Hachimi Al-Hamidi habe gegen das Gesetz verstoßen, das ausländische Finanzierung des Wahlkampfes verbietet. Der Unternehmer, ein enger Vertrauter des im Januar gestützten Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali, bestritt den Wahlkampf seiner Partei mittels seines Londoner Satelliten-TVs. Ein Sprecher der Wahlbehörde ISIE bestätigte, dass der Fall überprüft werde.

Die Parteien haben im Hintergrund bereits Verhandlungen für eine Regierung der Nationalen Einheit aufgenommen. Sowohl Marzouki als auch Ben Jaafar besuchten die Ennahda-Zentrale in Tunis. „Wir haben keine strategische Allianz mit Ennahda, teilen aber mit ihr mehrere Ideen“, erklärte CPR-Chef Marzouki. „Unsere Partei prüft im Vorstand und an der Basis, ob wir der Regierung beitreten“, heißt es seitens Ettakatol-Chef Ben Jaafar. Beide Parteien bekräftigen, dass sie ganz besonders über die Bürgerrechte und über die Rechte der Frauen wachen wollen. Ennahda hat sowohl Marzouki als auch Ben Jaafar für das Amt des Staatspräsidenten für die Zeit des Verfassungsprozesses ins Spiel gebracht.

Jabali, einer der Ennahda Gründungsmitglieder, der unter Ben Ali 16 Jahre im Gefängnis verbrachte, gilt als das moderate Gesicht seiner Partei. Er versucht derzeit alles, um die Befürchtungen vieler Tunesier, seine Ennahda könne wichtige Freiheiten einschränken zu zerstreuen. „Ganz im Gegenteil, wir werden die Freiheiten konsolidieren“, sagt er in einem Interview mit der tunesischen Nachrichtenagentur TAP und verspricht, ganz besonders die Rechte der Frauen wahren zu wollen. Er strebe weder die Polygamie an, noch wolle er das islamische Recht einführen, oder das herkömmliche Bankensystem durch islamische Banken ersetzen. Auch beim Tourismus werde es keine Änderungen geben: „Ist es vernünftig eine so wichtige Branche wie den Tourismus durch das Verbot alkoholischer Getränke oder durch das Verbot der Badeanzüge oder anderer Praktiken zu paralysieren? Das sind persönliche Freiheiten, die nicht nur für Ausländer sondern auch für Tunesier garantiert sind.“

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