© 2011 Reiner Wandler

Die Schere setzt erneut an

Spanien musste bisher nicht unter den EU-Rettungsschirm schlupfen. Doch die Sparmaßnahmen, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist, unterscheiden sich nur wenig von denen der anderen Krisenländern Europas. Nach einer Welle der Kürzungen im zentralstaatlichen Sozialsystem, sowie der Senkung der Löhne und Gehälter im Öffentlichen Dienst, im Frühjahr und Sommer, kommt jetzt die zweite Runde. Die 17 Autonomen Regionen – Spaniens Kantone/ Länder – haben Kürzungen im Umfang von 6,6 Milliarden Euro vorgelegt. Damit wollen sie das regionale Defizit in den Griff bekommen. Rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben werden aus den Haushalten der Regionen bestritten. Erstmals betreffen die Kürzungen ganz massiv das Gesundheits- und Bildungssystem. In mehreren Regionen gehen das Krankenhauspersonal und die Lehrer auf die Straße – allen voran Madrid und Barcelona.

In der Hauptstadtregion begann das Schuljahr mit Lehrerstreiks in der Mittel- und Oberstufe an den öffentlichen Schulen. Eine Verordnung der konservativen Regionalregierung erhöht die wöchentlichen Unterrichtsstunden von 18 auf 20. Die Folge: Rund 3.000 Lehrer wurden arbeitslos. Eltern- und Schülersprechstunden, sowie außerschulische Aktivitäten, von der Schulbibliothek bis hin zu Sportgemeinschaften und Studienreisen werden künftig nicht mehr stattfinden. Es fehlt ganz einfach an Personal. Lehrer müssen Unterricht in Fächern geben, für die sie eigentlich nicht qualifiziert sind. 80 Millionen Euro sollen damit eingespart werden. Was die Lehrergewerkschaften am meisten empört: Zeitgleich mit den Einschnitten im öffentlichen Bereich werden Eltern, die ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken, diese Kosten künftig von den Steuern absetzen können. Die Landesregierung wird damit 90 Millionen weniger an Steuern einnehmen als bisher.

In Spaniens Nordostregion Katalonien mit der Hauptstadt Barcelona betrifft die Sparwut vor allem das Gesundheitssystem. Alleine im laufenden Jahr sollen eine Milliarde Euro eingespart werden. Die Gehälter im Gesundheitssystem werden um 5 Prozent gekürzt, die Hälfte des Weihnachtsgeldes gestrichen. Im Sommer wurden ein Viertel der Krankenhausbetten stillgelegt, 40 Notaufnahmen geschlossen. Ein Plan sieht vor, in einigen Krankenhäusern die Operationssäle zu schließen. Mindestens 2.000 Angestellte in den regionalen Hospitälern werden – so die Gewerkschaften – ihren Job verlieren. Doch damit nicht genug: Bis zum Jahresende wird die katalanische Regierung außerdem die Hilfen für Familien mit schweren Pflegefällen streichen. Den Plan, die Altersheime zwei Monate lang ohne staatliche Gelder zu lassen, musste mach starken Protesten erst einmal auf Eis gelegt werden.

Auch in zehn weiteren, meist konservativ regierten Regionen sieht es nicht viel besser aus. So werden z.B. im zentralspanischen Castilla – La Mancha 8.000 Angestellte im öffentlichen Dienst ihren Arbeitsplatz verlieren, darunter 800 Lehrer. In Murcia werden 27 Millionen Euro im Bildungsbereich gestrichen. Pflegefälle erhalten 30 Prozent weniger staatliche Hilfe für ihre Betreuung. In Extremadurien steht noch nicht fest, wo gekürzt werden soll, aber das es letztendlich 20 Prozent des regionalen Haushaltes sein werden, das ist beschlossene Sache.

Die massiven Einschnitte ins regionale Sozialsystem sind längst zum wichtigsten Thema im Vorwahlkampf für die auf den 20. November vorgezogenen Parlamentswahlen geworden. Die Gewerkschaften beschweren sich, dass dieses Mal bei den Kürzungen „die rote Linie deutlich überschritten „werde. „Die Bildung ist keine Ausgabe sondern eine Investition in die Zukunft“, lautet das Motto der Lehrer in Madrid.

Der Sozialist Alfredo Pérez Rubalcaba, der den amtsmüden Premier José Luis Rodríguez Zapatero als Spitzenkandidat der PSOE ablöst, schließt sich diesem Diskurs an, und will so ein totales Debakel seiner PSOE verhindern. Der konservativen Volkspartei (PP) – die aus allen Umfragen als Wahlsieger hervorgeht – macht er es damit allerdings leicht. Als Zapateros Stellvertreter hat er jahrelang alle bisherigen Kürzungen, sowie die Steuersenkung für Spaniens Millionäre und die Milliardenhilfen für die Banken mit durchgewunken. Auch als Zapatero im Sommer im Eilverfahren zusammen mit den Konservativen unter Protesten der Gewerkschaften und der „Bewegung der Empörten“ eine Schuldenbremse in die Verfassung aufnehmen ließ, war von Rubalcaba nichts zu hören. Die Presse machte jetzt öffentlich, dass diese Verfassungsreform das Ergebnis eines Briefes aus Brüssel war.

Bei den direkt Betroffenen hat Rubalcaba mit seinem Schwenk nur wenig Erfolg: „PPSOE“ steht bei Streiks und Demonstrationen der Empörten auf vielen der Schildern zu lesen. Kleinere Parteien hoffen von dem Unmut über die beiden großen Formationen zu profitieren. Die postkommunistische Vereinigte Linke (IU) legt bei Umfragen kräftig zu. Und die neue, grüne Partei EQUO darf sich berechtigte Hoffnungen machen, am 20. November erstmals ins spanische Parlament einzuziehen.

Was bisher geschah: