© 2011 Reiner Wandler

#mareaverde Sparen an der Zukunft

Das Schuljahr begann in Madrid anders als gewohnt. Die Lehrer der Mittel- und Oberstufe befinden sich seit Dienstag in einem dreitägigen Streik. An den Fassaden vieler Schulgebäude hängen Transparente mit den Umrissen von Menschen und Namen. Es sind konkrete Fälle von LehrerInnen, die zu den 3.200 gehören, die in der Region Madrid zum Schuljahresbeginn im Rahmen der Haushaltskonsolidierung entlassen wurden. Die verbleibenden 18.000 Lehrkräfte müssen künftig den 230.000 SchülerInnen statt 18, 20 Unterrichtsstunden geben. Die Qualität der Bildung werde darunter leiden, beschweren sich Gewerkschaften und Elternverbände. 90.000 Menschen folgten am Dienstag ihrem Aufruf zu einer Demonstration durch die Innenstadt, um das kostenlose, staatliche Schulsystem zu unterstützen. In neuen, anderen spanischen Regionen machen Lehrer, Eltern und Schüler ebenfalls gegen Kürzungen im Bildungsbereich mobil.


„Wir wissen nicht, was wir dieses Schuljahr machen sollen“, beschwert sich Mercedes Pastor. „6 unserer 82 Lehrern wurden entlassen und das bei sieben Prozent mehr Schülern als im Vorjahr“, berichtet die 59-jährige Mathelehrerin am Instituto San Isidro, mit 560 Jahren die älteste Oberschule der Stadt, an der mehrere Literaturnobelpreisträger und auch König Juan Carlos die Schulbank gedrückt haben. „Wir verbleibenden Lehrer werden künftig keine Zeit mehr für Sprechstunden haben, die Bibliothek bleibt geschlossen. Unterricht zu Drogen, sexueller Gewalt oder Toleranz gegenüber Homosexuellen bleiben ebenso auf der Strecke, wie Austauschprogramme oder nachmittäglichen Arbeitsgemeinschaften. Selbst bei Krankheitsvertretungen wird es eng“, befürchtet Pastor. Sie spricht von Zuständen wie in den 1970er Jahren als Spanien noch eine Diktatur war. Die konservative Landesregierung spare „an der Zukunft unseres Landes“.

Mercedes Pastor und María Ximénez

Zusammen mit drei Vierteln der Belegschaft ist Pastor im Streik. Neben ihrer postkommunistischen CCOO und der sozialistischen UGT machen dieses Mal auch die konservativen Lehrerverbände mit. Und das trotz massivem Druck seitens der Madrider Landesregierung unter Esperanza Aguirre von der rechten Partido Popular (PP).

„Seit Jahren streicht die Regierung Aguirre bei den staatlichen Schulen und unterstützt gleichzeitig die privaten Schulen“, wettert auch María Ximénez. Die 32-jährige Spanischlehrerin im Arbeiterviertel Vallecas gehört zu den Entlassen. Unter den neuen Bedingungen würden vor allem die Integrationsmaßnahmen für Immigrantenkinder und SchülerInnen aus prekären Verhältnissen leiden. „Die staatlichen Schulen büße an Qualität ein und haben zunehmend nur noch sogenannte problematische Schüler. Eltern mit besseres Einkommensniveau, geben ihre Kinder auf private Schulen“, berichtet Ximénez.

Die Zahlen geben ihr recht. 40 Prozent der Schulen im Land Madrid sind in privater Hand. Sie gehören meist katholischen Verbänden. In der Stadt Madrid selbst sind es gar 60 Prozent, spanienweit nur 24 Prozent. Die meisten dieser Schulen werden zu 100 Prozent von der Landesregierung finanziert. Nur ganz wenige Privatschulen werden von den Eltern finanziert. Madrid ist spanischer Spitzenreiter in Sachen Privatschulen.

Jahr für Jahr werden den staatlichen Schulen Gelder gestrichen, während der Etat für Privatschulen aufgestockt wird, und das obwohl das reiche Madrid bei den Bildungsausgaben am Ende des spanischen Rankings liegt. Auch jetzt, wo die Streichung von 3.200 Lehrerstellen Einsparungen bringen soll, werden neue Steuervorteile für diejenigen eingeräumt, die ihre Kinder auf teure Bezahlschulen schicken. Ein Nullsummenspiel zu Lasten der Schulen für einfache Leute sei dies letztendlich, beschweren sich Lehrer und Eltern. „Wir gewähren die Wahlfreiheit für die Eltern“, verteidigt Aguirre diese Politik. Ein Video auf Youtube macht die Runde, in ihre Bildungsministerin Lucía Figar vor ultra-konservativen, katholischen Gruppierung zusätzliche Gelder für deren Schulen verspricht.

„Mittlerweile sind Klassen bis zu 35 Schülern normal“, sagt Ximénez. Im Gesetz stehen eigentlich 28. Die arbeitslose Lehrerin mit gerade einmal 1000 Euro Stütze geht seit Wochen auf die Straße. Sie war bei einer Besetzung des Madrider Bildungsministeriums dabei und verpasst keine Versammlung der Entlassenen. Wie es mit ihr weitergeht? „Ich werde wohl einen Job im Ausland suchen müssen“, erklärt sie am Rande der Großdemonstration vom Dienstag.

Was bisher geschah: