© 2011 Reiner Wandler

Portugiesen wählen unter Aufsicht

Der portugiesische Schriftsteller José Luis Peixoto und der Dramaturg Miguel Castro Caldas stellen sich die gleiche Frage, wie viele ihrer Landsleute: „Was ist unsere Stimme am 5. Juni überhaupt wert, in einer Situation, in der es ein ‚Pferd der Troika‘ unserem Galopp vorgibt?“ Der Poet Vasco Graça Moura wird noch deutlicher: „Ist unsere Zukunft nicht längst schon von den Gläubigern, wie dem Internationalen Währungsfond definiert? Lohnt es sich überhaupt zu wählen?“ fragt er.

Die Künstler bringen zum Ausdruck, was viele im Lande denken. Am kommenden Sonntag wählen über neun Millionen Portugiesen Parlament und Regierung in Lissabon, doch entschieden wird nichts. Das Wirtschafts- und Sozialprogramm der nächsten Jahre ist längst in einem Memorandum, dass die „Troika“ – aus der regierenden Sozialistischen Partei (PS) des scheidenden Premiers und erneuten Kandidaten José Sócrates, die konservative Sozialdemokratische Partei (PSD) von Herausforderer Pedro Passos Coelho sowie Rechtsaußen CDS-PP angesichts eines drohenden Staatsbankrotts mit EU-Kommission und IWF unterzeichneten, festgelegt.

Portugal, das ärmste westeuropäische Land, blickte Ende 2010 auf Staatsschulden von über 90 Prozent des BIP und ein Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent. Anfang April flüchtete das Lissabon unter den Euro-Rettungsschirm und steht jetzt unter Aufsicht der EU und des IWF. 78 Milliarden Euro werden beide Institutionen zusammen aufbringen, um Portugal zu stützen.

Der in Minderheit regierenden Sócrates hatte drei umfassende Sparprogramme aufgelegt, um der Lage alleine Herr zu werden. Jedes Mal stuften die internationalen Ratingagenturen sein Land weiter ab. Die steigenden Zinsen fraßen die Ersparnisse auf. Letztendlich scheiterte Sócrates Ende März im Parlament an einem vierten Kürzungsvorhaben. Er rief vorgezogene Neuwahlen aus. Der Gang nach Brüssel und Washington wurde unumgänglich.

Ein Blick in das Memorandum, das Lissabon mit der EU-Kommission und dem IWF ausgehandelt hat, zeigt, die Hilfe kommt den Portugiesen teuer zu stehen. Um das Haushaltsdefizit von 9,1 Prozent im Jahr 2010 bis 2013 auf drei Prozent zu senken, wird überall noch einmal gespart. Ob bei Gehältern im Öffentlichen Dienst oder bei den Renten, ob im Erziehungssystem oder im Gesundheitswesen. Die Verbrauchersteuern werden angehoben, der Arbeitsmarkt weiter flexibilisiert. Infrastrukturmaßnahmen, wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke Nach Spanien werden verschoben, die Förderung für erneuerbare Energien, eine der wichtigsten Branchen der portugiesischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren, heruntergefahren. Die Wirtschaft wird dadurch endgültig stagnieren, die Arbeitslosigkeit, die derzeit bei 12,4 Prozent liegt, wohl weiter steigen.

Wahlumfragen sprechen von einer Patt-Situation. PS und PSD liegen beide um die 33 Prozent fast gleich auf. Im Wahlkampf dreht sich alles um Schuldzuweisungen für die Krise und um emotionsgeladene Themen, wie das Recht auf Abtreibung. Damit sollen die WählerInnen aus der Lethargie gerissen werden.

Egal wer gewinnt, alleine regieren wird weder Sócrates noch sein Herausforderer Passos Coelho können. Bleiben zwei Szenarien: Entweder die PS und PSD raufen sich wider Erwarten zu einer Großen Koalition zusammen, oder die PSD regiert mit der weiter rechts stehenden CDS-PP.

Diejenigen, die für mindestens drei Jahre die eigentlichen Geschäfte führen sind längst vor Ort. Am Montag traf eine Kommission des IWF in Lissabon ein.

Was bisher geschah: