© 2011 Reiner Wandler

Jorge Sánchez – Federico Semprún

Ein Nachruf

Der Alte öffnet die französische Erstausgabe des Buches „Schreiben oder Leben“ von Jorge Semprún (1994) und verweist stolz auf die Widmung. „Für meinen Genossen und Freund Sebastián. Federico Sánchez“ steht da in Tinte auf Spanisch geschrieben. Ein Satz wie aus einer anderen Zeit. Federico Sánchez war der Deckname von Jorge Semprún im Kampf gegen die Franco Diktatur. Sebastián der Deckname des Alten mit dem Buch, Kommunist und Nachfolger von Federico, als dieser seine Untergrundarbeit in Madrid einstellen musste.

Beide blieben sich auch nach dem Ende der verhassten Diktatur eng verbunden. Beide kamen nie wieder aus dem Exil in Paris in ihre Heimat zurück. Der eine wurde zum international bekannten Schriftsteller Jorge Semprún. Der andere zum kritischen Geist der alten Garde der spanischen Kommunistischen Partei (PCE). Füreinander waren sie vor allem eines: Sebastián war weiter Sebastián, Federico Sánchez weiter Federico Sánchez.

Dabei hatte Letzterer 1993, 16 Jahre nach der „Autobiografie von Federico Sánchez“ (1977) ganz offiziell seinen Rückzug verkündetet. „Federico Sanchez verabschiedet sich von Ihnen“ lautete der Titel des Buches in dem Semprún endgültig Abschied aus der aktiven Politik nahm. Enttäuscht von seinem Ausflug in die hohe Politik als Amt des Kulturminister unter dem spanischen Sozialisten Felipe González (1988-1991) räumte der Kämpfer Sánchez dem fortschrittlichen Bildungsbürger und Freigeist Semprún endgültig den Platz. Dieser wurde zu einer der kritischsten und brillantesten Stimmen des 20. Jahrhundert.

„Die Große Reise“ – so der Titel seines Erstlingswerkes 1963 – hatte Semprún durch die ganze Tragödie des letzten Jahrhunderts geführt. Als Kind erlebte er das Ende der spanischen Monarchie, der sein Großvater als konservativer Premierminister gedient hatte. Die Zeit der Hoffnung auf die Zweite Republik endete im Bürgerkrieg. Semprúns Vater, ein Diplomat der republikanischen Regierung, holte die Familie nach Den Haag. Nach der der Niederlage der spanischen Republik ging es nach Paris. Es war der Beginn eines Exils, das nie wieder enden sollte.

Der auf spanisch, deutsch und französisch aufgewachsene Semprún schloss sich der französischen Résistance gegen Hitlers Besatzungstruppen an. 1942 trat er der spanischen KP bei, deren aus der Heimat geflohenen Mitglieder ein wichtiger Teil der Anti-Nazi-Truppen in Frankreich stellten. Das antifaschistisches Engagement endete 1943 in den Fängen der Nazis. Mit nur 20 Jahren wurde er von der Gestapo gefoltert und schließlich 1944 nach Deutschland deportiert. Unter der Häftlingsnummer 44.904 sass Semprún ausgerechnet dort ein, wo sich einst einer der von ihm so verehrten Literaten im Schatten einer Eiche inspirierte – auf Goethes Ettersberg, der zum KZ Buchenwald geworden war.

Semprún schloss sich dem kommunistischen Widerstand im Lager an, der mit der Selbstbefreiung kurz vor dem Einrücken der alliierten Truppen am 11. April 1945 endete. Die Bilder der Grausamkeit, der „Geruch nach verbranntem Fleisch, in meinem Kopf (…) den ich nicht erklären kann“ prägten ihn und sein literarisches Schaffen.

„Schreiben oder Leben“ lautete die Herausforderung, die ihn lange zwischen Semprún und Sánchez hin und her riss, aber auch vor Verzweiflung und Selbstmord bewahrte. Von 1953 bis 1962 koordinierte Sánchez in Madrid die Untergrundarbeit der PCE, wird ins Zentralkomitee (1954) und schließlich ins Politbüro (1956) berufen. Lange ging das nicht gut. 1964 wurde der Intellektuelle Federico Sánchez aus der Partei ausgeschlossen. Seine Linie wich von der der Parteileitung im osteuropäischen Exil ab.

Das Schreiben ließ Semprún weiterleben. Er arbeitete anhand seiner eigenen Geschichte die seiner Zeit auf – die Barbarie des Faschismus und die Fehler des Stalinismus, die er teilweise mitzuverantworten hatte. Verbitterung oder Rachsucht lagen ihm dabei fern. So gab er deutschen Medien Interviews in Buchenwald – auf Deutsch, der Sprache der Wärter aber eben auch der Sprache Goethes.

„Viviré con su nombre, morirá con el mío“ – „Ich werde mit seinem Namen leben und er mit meinen sterben“, heißt der spanische Titel eines seiner letzten Werke.

Hasta siempre Federico Sánchez! Hasta siempre Jorge Semprún!

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