© 2011 Reiner Wandler

35 Jahre Haft für Ben Ali

„Vor Gericht, vor Gericht“, sangen die Demonstranten in den Tagen der Revolution gegen den tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali immer wieder. Jetzt ist es soweit. Während der gestürzte ägyptische Staatschef Hosni Mubarak im Krankenhaus auf sein Verfahren wartet, gewann Ben Ali – wie bereits beim Sturz – einmal mehr das Rennen um den ersten Platz in den Geschichtsbüchern. Er wurde am Montag zusammen mit Gemahlin Laila Trabelsi in Tunis zu 35 Jahren Haft und eine Geldstrafe von umgerechnet knapp 46 Millionen Euro verurteilt.

„Sie haben die öffentlichen Gelder als ihr Eigentum betrachtet“, erklärte der Chefankläger und sprach von „gemeinen Verbrechen“. Als Beweis dienten „große Geldsummen in tunesischen Dinars und Devisen, sowie große Mengen wertvollen Schmucks“, die in einem der Paläste vor den Toren der Hauptstadt Tunis gefunden worden waren. Das Urteil kam überraschend schnell. Die Richter brauchten gerade einmal einen Tag für das Verfahren.

Weitere Verfahren wegen dem Wirtschaftsimperium, das die Familien von Ben Ali und Frau aufgebaut haben, illegalem Waffen- und Drogenbesitz, sowie der blutigen Repression gegen die Proteste, die letztendlich zu seinem Sturz führten, werden folgen. Das nächste am 30. Juni ebenfalls in Tunis. Die Verurteilten müssen die Strafe nicht antreten, denn sie befinden sich seit der erfolgreichen Revolution am 14. Januar 2011 in Saudi-Arabien im Exil.

Der libanesische Anwalt des Ex-Präsidenten, Akram Azoury – der erstaunlicherweise dessen Frau nicht vertrat – hatte erfolglos eine Verschiebung des Verfahrens beantragt, um sich besser vorbereiten zu können. „Einfach lächerlich … ein Hohn“, protestierte er nach dem Urteil. Er bezichtigte die verurteilung in Abwesenheit der Angeklagten Gericht als „einen Akt der politischen Liquidierung“. In einer schriftlichen Erklärung bestritt sein Mandant alle Vorwürfe. Er habe sich niemals bereichert. Die Waffen und der Schmuck seien „Geschenke ausländischer Würdenträger“ gewesen. Die Drogen seien von der Polizei deponiert worden, um seinem Ruf zu schädigen.

„Eigentlich ist das Urteil eine gute Nachricht, denn kein europäisches Gericht kann es anerkennen, da es gegen alle Rechtsprinzipien verstößt“, erklärt Anwalt Azoury. Er werde Ben Ali empfehlen Saudi-Arabien zu verlassen, und sich in der Europäischen Union niederzulassen, um so vor einer Auslieferung sicher zu sein.

Auch tunesische Menschenrechtler sprechen von „einer Farce“. Nicht etwa weil sie gegen die Verfolgung der Korruption sind, sondern weil sie gerne diejenigen vor Gericht sähen, „die im Lande weilen und für die Repression, Menschenrechtsverletzungen Tote und Verletzten verantwortlich sind“, erklärt die Menschnerechtlerin Sihem Bensedrine. Sie versteht auch nicht, warum sich der abwesende Ben Ali ausgerechnet „wegen der am wenigsten schweren Vorwürfen verantworten muss“.

„Die Schnelligkeit dieses Verfahrens wirft ernsthafte Fragen auf“, schließt sich Expertin für internationale Strafgerichtsbarkeit bei Amnesty International, Leonie von Braun, den kritischen Stimmen an. „In Abwesenheit hat ein Angeklagter nicht die erforderlichen Möglichkeiten, sich zu verteidigen“, gibt sie zu bedenken.

„Vorsicht mit der Politisierung der skandalösen Tatsachen, das wäre zu viel der Ehre für die Angeklagten“, versucht die tunesische Zeitung Le Temps die Debatte zu beruhigen, und gibt ihren Lesern einen Ratschlag mit auf den Weg: „Vergessen wir nicht, die Texte, die zum Urteil gegen Ben Ali führten, sind die selben, die seine Gerichte für ihre Justizparodien einsetzten.“

„Gerechtigkeit und Revolution gehen nur selten gut zusammen“, urteilt auch Le Monde in ihrem Leitartikel vom Dienstag. „Es besteht Meinungsfreiheit, die Angst ist verschwunden, aber das Gerüst des alten Regimes besteht noch immer.“ Der Justizapparat sei ebenfalls der alte, gibt die französische Tageszeitung zu bedenken. „Es bleibt zu hoffen, dass der Prozess gegen den ägyptischen Ex-Präsidenten Hosni Mubarak. Der am 3. August beginnt, respektvoller mit dem Geist der Justiz und dem Gesetz umgeht“, endet die Kolumne.

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