© 2011 Reiner Wandler

Merkel goes Ballermann

Die Stammtischhoheit ist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dieser Aussage gewiss: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig“, sagte sie am Dienstag. Es gehe nicht nur darum, keine Schulden zu machen. „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig.“

Geliebte Vorurteile, da seit ihr wieder. Das spricht Otto Normalverbraucher so richtig aus der Seele. Darauf kann es – auch wenn dies nicht höflich ist – nur eine Antwort geben, nämlich den Schlachtengesang, den Fußballfans verhassten Sportreportern gerne entgegensingen: „Und wieder mal keine Ahnung, was hier läuft.“

„La Merkel“ – wie sie auf der iberischen Halbinsel umgangssprachlich und damit familiär, liebevoll genannt wird – täte gut daran, sich etwas genauer zu informieren. Schließlich war sie es, die einst in ihrem Wahlkampf gegen Gerhard Schröder Spanien als Beispiel für eine Wachstumspolitik hinstellte, wie sie die CDU auch für Deutschland anstrebe. Es war mitten im Bauboom. Merkels konservativer Gesinnungsgenosse José María Aznar – der das Land in den Irakkrieg geführt hatte – regierte. Die Spekulationsblase schuf vermeintlichen Reichtum für alle. 1000 neue Arbeitsplätze entstanden am Tag. Wer darauf verwies, das dies keine nachhaltige Entwicklung sei, wurde müde belächelt, auch von der CDU.

Jetzt wo die Spekulationsblase geplatzt ist, zahlen die, die schon immer zahlen. Spanien hat 20 Prozent Arbeitslose, unter jungen Menschen ist sie mehr als doppelt so hoch. Nicht etwa, dass die „faulen Spanier“ nicht arbeiten wollen und lieber der Siesta und dem Sangria frönen. Das ist eher die Lieblingsbeschäftigung vieler deutscher Strandurlauber und Ballermannbesucher. Nein, sie finden keinen Job. Unter anderem deshalb gehen die Menschen dieser Tage zu Zehntausenden überall im Land auf die Straße und haben ein Protestcamp auf dem zentralen Platz Madrids, der Puerta de Sol, errichtet.

Spaniens Jugend leidet unter einer Politik, die völlig versagt. Und daran sind nicht alleine die seit sieben Jahren regierenden Sozialisten unter José Luis Rodríguez Zapatero schuld. Auch die konservativen Freunde Merkels, der ehemalige Premier Aznar, der für das Boomwachstum verantwortlich zeichnete, und sein Nachfolger an der Spitze der Partido Popular, Mariano Rajoy, den Merkel wohl gerne an der Regierung sähe, haben ihre nicht ganz unwesentlichen Teil dazu beigetragen.

Das Schul- und Universitätssystem ist nicht auf der Höhe Europas. Nicht etwa weil die spanische Jugend lernunwillig ist. Sondern wegen der Politik der Konservativen. Statt die Bildungsausgaben für öffentliche Schulen und Universitäten zu steigern, fördert die PP dort wo sie wie in der Region Madrid regiert, Privatschulen und Privatunis. Auch dies sind nicht besser, müssen aber keine problematischen Schülergruppen aus armen Stadtteilen und aus dem Migrantenumfeld aufnehmen. Das öffentliche Schulsystem wird gezielt zu einem Ghetto für Problemfälle umgewandelt. Wer sich privat nicht leisten kann hat Pech gehabt.

Als es Spanien gut ging, wurden die Forschungsausgaben nicht angehoben. Das ist nicht nur ein Problem für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, sonder auch für die jungen Akademiker. Viele von ihnen arbeiten mittlerweile im Ausland. Auch Bundeskanzlerin Merkel umwirbt sie.

Wer zu Hause einen Job findet, verdient oft unter 1000 Euro. Zudem ist in keinem Land Europas die Quote von prekären, zeitlich befristeten Verträgen so hoch wie in Spanien. Viele der Arbeitsplätze, die geschaffen wurden, als Merkel Spanien lobte, waren solche prekären Arbeitsverhältnisse. Es ist das Lieblingsmodell der Bundeskanzlerin für Europa, das jetzt gescheitert ist.

Ach ja, und zur Rente und zum Urlaub: Die Spanier gehen, wie wir Deutschen auch, künftig mit 67 Jahren in den Ruhestand. Verdienen müssen sie sich ihn laut Eurofund mit durchschnittlich 1752 Arbeitsstunden pro Jahr und 22,8 Tagen bezahltem Urlaub. Die fleissigen Teutonen arbeiten 1658 Stunden im Jahr und genießen 30 Tage Urlaub.

Warum die Produktivität Spaniens dennoch niedriger ist als die Deutschlands? Ob das vielleicht etwas mit mangelnder Investitionsbereitschaft der Unternehmer, schlechten Arbeitsverträge und ungenügenden innerbetrieblicher Fortbildung zu tun hat? Nein, Frau Merkel, das will am Stammtisch wirklich niemand hören. Spanier sind faul! Prost.

Was bisher geschah: