© 2011 Reiner Wandler

Facebook mobilisiert Spaniens Jugend

 

Die Facebook-Revolte ist in Spanien angekommen. Unter dem Motto „Echte Demokratie – Jetzt!“ versammeln sich seit dem Wochenende in allen größeren Städten des Landes Zehntausende von Jugendlichen. In Madrid demonstrierten am Sonntag rund 40.000 Menschen, in Barcelona etwa halb so viele. In weiteren 58 Städten wurden Kundgebungen abgehalten. Selbst an britischen Universitäten kam es zu spontanen Solidaritätsaktionen spanischer Auslandsstudenten. Die Veranstalter zählten insgesamt 130.000 Teilnehmer. In mindestens 27 Städten richteten die Jugendlichen Protestcamps ein. Das in Madrid wurde in der Nacht auf Dienstag von der Polizei geräumt.

„Wir haben keine Zukunft“, heißt eine der Hauptklagen der Teilnehmer. Spanien hat eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent. Bei jungen Menschen ist sie mehr als doppelt so hoch. Immer mehr junge, spanische Akademiker suchen ihre Zukunft im Ausland.

Nach dem Immobilienrausch der letzten Jahre, ist das Erwachen böse. Spaniens Regierung unter dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero kürzte Beamtengehälter und Sozialleistungen, um den Anforderungen der Finanzmärkte gerecht zu werden. Die konservative Opposition, die bei den Umfragen für die Regional- und Kommunalwahlen am kommenden Sonntag vorn liegt, wird diesen Kurs eher noch verschärfen. „Wir sind keine Ware in den Händen der Politiker und Banker“, beschwert sich einer der Organisatoren in Madrid. „Wir wollen nicht für ihre Krise bezahlen“, lautete einer der Sprechchöre.

Die Verärgerung über die politische Klasse als solche ist groß. Bei den Regional- und Kommunalwahlen stellen sich über 250 Kandidaten aller Parteien zur Wahl, die wegen Korruption angeklagt oder gar schon in erster Instanz verurteilt sind. „No les votes“ – „Wähle sie nicht“, heißt eine web, die die korrupten Politiker mit Name, Parteizugehörigkeit, Gemeinde und dem ihnen vorgeworfenen Delikten auflisten. Die meisten haben sich in den Jahren des Baubooms bereichert. Ein Wahlgesetz, das die großen Parteien begünstigt, lässt kaum Platz für neue Strömungen.

In Madrid errichteten die Protestierenden nach der Demonstration vom Sonntag auf dem zentral gelegenen Platz Puerta de Sol ein Camp. Um die hundert Menschen übernachteten dort. Tagsüber wuchs die Gruppe auf über 1.000 an. In ständigen Versammlungen wurde über Politik, die Unzufriedenheit und die Krise debattiert. Bürger brachten spontan Essen vorbei. Solidaritätsadressen aus ganz Spanien und selbst aus Kairo und Tunesien laufen auf dem Twitterkanal ein. Anwohner öffneten ihr Wifinetz für die jungen Menschen auf dem Platz. Diese informierten über Twitter und einen Blog in Echtzeit. Bis heute, Dienstag, um 5:10 Uhr die Polizei anrückte und den Platz räumte. Versammlungen ab 20 Personen seien genehmigungspflichtig, lautete die Begründung. Damit niemand die Polizeiaktion am Computer verfolgen konnte, wurde die Web-Cam der Stadt Madrid an der Puerta de Sol zuvor weggedreht. In youtube war die Räumung dennoch zu sehen. (1) und (2).

Die Protestierenden wollen nicht aufgeben. „Wir gehen nicht“, heißt es im Netz. Um die Mittagszeit zogen Jugendliche vor das Madrider Amtsgericht, um die Freilassung der 19 auf der Demonstration in Madrid verhafteten zu verlangen und für heute Abend wird zu einer erneuten Versammlung an der Puerta de Sol gerufen. „Wie geht es so in Spanien? – Wir können uns nicht beklagen. – Also gut? – Nein, WIR KÖNNEN UNS NICHT BEKLAGEN!“ heißt es zur Räumung auf Twitter.

Was bisher geschah: