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Bouteflika und die Zeichen der Zeit

 

 

Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika versucht der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor diese auf die Straße geht. Der seit 1999 amtierende Staatschef kündigte am Donnerstag überraschend an, dass der seit 19 Jahren gültige Ausnahmezustand „in Kürze aufgehoben“ werde. Noch am Mittwoch hatte der stellvertretende Ministerpräsident eine solchen Schritt strikt abgelehnt. Außerdem fordert der 73-jährige Bouteflika, der aus den Reihen der ehemaligen Einheitspartei FLN stammt, das staatliche Rundfunk und Fernsehen auf, „über die Gesamtheit der Aktivitäten von Parteien und nationalen Organisationen zu berichten“.

Der Ausnahmezustand wurde 1992 verhängt, nachdem die Islamistische Heilsfront (FIS) die Parlamentswahlen gewann und das Militär die Macht übernahm. Algerien versank daraufhin in einem blutigen Konflikt, der mindestens 200.000 Menschen das Leben kostete.

Präsident Bouteflika hat nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur APS die FLN-Regierung aufgefordert, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Wohnungsnot zu lindern sowie die Preise für Grundnahrungsmittel zu senken. Anfang des Jahres war es in Algier und mehreren anderen Städten zu schweren Jugendunruhen gekommen, als die Preise für Zucker und Mehl um mehr als ein Drittel stiegen. In den letzten Wochen haben verschiedene Gemeindeverwaltungen Tausende von Jugendlichen als Hilfsarbeiter eingestellt. Sie pflegen Parks und stutzen Bäume entlang der Straßen und Autobahnen.

Mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes versucht Bouteflika auf eine Hauptforderungen eines breiten Bündnisses aus Oppositionsparteien, unabhängigen Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und Intellektuellen einzugehen, das für den kommenden Samstag (12.2.) in Algier einen Demonstration für einen demokratischen Wandel im Lande angekündigt hat.

Der Marsch kann trotz der Entscheidungen Bouteflikas nicht mit einer Genehmigung rechnen. Denn das mit dem Ausnahmezustand verbundene Demonstrationsverbot wird überall im Lande aufgehoben, außer in der Hauptstadt Algier. „Aus wohlbekannten Gründen der öffentlichen Sicherheit“, so der Staatschef. Stattdessen fordert Bouteflika die Opposition auf, in geschlossenen Räumen ihre Meinung frei zum Ausdruck zu bringen. „Algier verfügt über öffentliche Säle unterschiedlicher Größe, die den Parteien und Verbänden zur Verfügung stehen, um ihren Standpunkt darzulegen“, erklärte er.

Das Oppositionsbündnis will sich übers Wochenende treffen, um die neue Situation zu bewerten. Mehrere wichtige Organisationen haben sich allerdings dafür ausgesprochen, den Aufruf nach Algier aufrecht zu erhalten. Die Sammelbewegung für Kultur und Demokratie (RCD), deren Demonstration gegen den Ausnahmezustand vor zwei Wochen gewaltsam aufgelöst wurde, bezeichnet die Erklärung Bouteflikas als „Provokation“. Solange in Algier keine Demonstrationsfreiheit bestehe, könne nicht von einem Ende des Notstands die Rede sein. „Die Algerier wollen mehr. Sie wollen einen demokratischen Wandel. Was wir jetzt haben, ist nur eine Scheindemokratie“, weißt auch der Sprecher der algerischen Menschenrechtsliga Mustafa Bouchachi die angekündigten Maßnahmen als ungenügend zurück.

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