© 2011 Reiner Wandler

Algier brennt

Algerien erlebt dieser Tage eine soziale Revolte, wie sie das Land seit 1988, als das Einparteiensystem zusammenbrach, nicht gesehen hat. Seit mehreren Tagen gehen in den meisten Städten des Landes junge Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen die Preiserhöhung für Grundnahrungsmittel seit Jahresbeginn um bis zu 50 Prozent. Dabei kommt es immer wieder zu gewaltätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Überfällen auf Geschäfte und öffentliche Einrichtungen.

Der Höhepunkt der Proteste erlebte die Hauptstadt Algier am Donnerstag. In den Vororten und den armen Vierteln der Stadt errichteten junge Demonstranten Barrikaden. Einzelne Gruppen zogen, teils mit Stangen und Säbeln bewaffnet in den reiche Oberstadt. Dort räumten sie Luxusboutiquen leer. Ein Restaurant wurde überfallen. Die Polizei reagierte mit Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Gegen Abend zogen überall in der Stadt Polizeieinheiten mit Schusswaffen auf.

Auch in anderen großen Städten des Landes, wie Oran oder Constantine, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. In der Berberregion Kabylei, östlich von Algier, unterbrachen Jugendliche den Fernverkehr mit brennenden Barrikaden auf mehreren Landstraßen. Das Gerichtsgebäude in der Stadt Akbou ging in Flammen auf.

Zu Redaktionsschluss herrschte gespannte Ruhe in Algier. Luxuriöse Einkaufszentren sowie internationale Hotels standen unter Polizeischutz. Die Universitäten wurden geschlossen, und die Moscheen waren von Polizei weiträumig umstellt. Die Behörden befürchten, dass die Proteste nach dem Freitagsgebet erneut aufflammen könnten. Die Regierung forrderte die Telefonprovider auf, die Übertragung von SMS und Handygespräche einzuschränken, um Mobilisierungen zu verhindern. Außerdem erwägt die Regierung nach Angaben oppositioneller Internetseiten, den Zugang zum Netz zu kappen, um die Nutzung von Facebook und Twitter zu verhindern. Das Sportministerium setzte alle Fußballspiele am Freitag aus.

„Die Krise wird in wenigen Tagen vorbei sein“, verspricht derweilen Handelsminister Mustapha Benbada. Sein Haus habe die Lage im Griff. Der Preisanstieg ist, so die Presse, auf neue Normen für Groß- und Einzelhandel zurückzuführen. Einzelhändler müssten, um sich weiterhin bei Großhändlern eindecken zu können, seit Jahresbeginn unzählige Dokumente vorweisen, die viele von ihnen nicht besitzen, da ihre Geschäfte nicht ordentlich angemeldet sind. Dadurch verknappten sich die Grundnahrungsmittel. Die Preise vor allem für Speiseöl, Zucker und Mehl explodierten. So mancher Hersteller und Großhändler nutzte die Gunst der Stunde, um zu spekulieren.

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